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"Was uns allen bleibt, ist reich werden, konsumieren. Menschen, Waren, schöne Orte, alles eine Frage des Geldes."

Foto: ap/Jason DeCrow

New York, Tag 1-5: Vor dem Fenster hat es 33 Grad. Gefühlte 78 Grad, denn das Fenster lässt sich nur eine Handbreit öffnen, diese merkwürdigen Nach-oben-schieb-Fenster, und Gitter davor, verschlossen. Wegen der Feuerleiter und der Einbrecher. Oder wegen der Wohnungseigentümerin, die scheinbar viel Angst hat, besonders am Tag, denn dicke Lagen Stoff hängen vor allem, das ein bisschen Licht in die Wohnung lassen könnte. Sonst ist es sehr gemütlich. Vor dem Fenster, also wenn man die Wohnung verließe, befindet sich East Village, junge Menschen, bunte Läden, Häuser, die wirken, als hätten sie 400 Jahre auf dem Buckel, geht aber nicht. Wohnung verlassen geht auch nicht, denn ich warte auf Anrufe. Oder muss anrufen. Ich bin zum ersten Mal in New York. Gelogen. Ich war vor hundert Jahren hier, aber es war Winter, ich hatte eine Liebe verloren, und war nicht in New York, sondern in mir, und da war es unerfreulich.

Ich dachte, man muss hier mal her, in diese Stadt, von der es entweder großartige Geschichten gibt - die Energie, die Restaurants, die Unkompliziertheit, die Park Avenue - oder gar keine. Letzteres von der Gruppe uninteressanter Menschen, die Amerika hassen, weil etwas zu hassen ein Gefühl macht, weil die Medien seit einigen Jahren diesen süffisant-spöttischen Unterton haben, wenn es um Amerika geht, und weil europäische Intellektuelle gegen Amerika wettern, weil es gerade so schön volksverbunden und aufgeklärt ist.

Egal. Ich war also noch nicht hier, Amerika ist mir sympathischer als ungefähr 88 Prozent der restlichen Welt, das von Linken so gerne bereiste Indien zum Beispiel, in dem Frauen sich immer noch anzünden, wenn ihre Männer sterben. Nun, ein wenig Polemik muss sein. Ich habe eine geraume Anzahl attraktiver Bekannter hier in der Stadt, die aber, wie durch ein gemeinsames Schicksal miteinander verbunden, alle ein Problem haben. Jetzt. In dieser Woche. "Darf ich dich morgen Nachmittag anrufen, dann können wir für übermorgen etwas abmachen." "Oh, ich bin gerade in der Mitte von irgendwas, ich melde mich." "Du, ruf mich doch gerne in zwei Tagen an, dann schauen wir nach, ob wir uns nächste Woche treffen."

Alle freuen sich wahnsinnig, dass ich in der Stadt bin, und wollen mir tolle Sachen zeigen. Dachterrassen, Partys mit Paris Hilton, Ausstellungen, ich werde richtig was erleben. Man muss einfach ein wenig Geduld haben, denke ich mir, in der Wohnung, die langsam zu kochen beginnt. Als ich gegen Nacht die Wohnung doch verlasse, weil ich nicht mehr mit den Anrufen rechne, ist es ein wenig kühler und die Dichte asiatischer Restaurants lässt selbst in Asien ihresgleichen suchen. Die U-Bahnen, der Verkehr, die Sirenen, der Smog, die Helikopter - alles wackelt und bewegt sich, rennt und redet. Das muss man mögen. Geht aber gut, nachdem man den Tag am Telefon verbracht hat. Lassen Sie es mich so sagen, die ersten Tage in New York vergehen ein wenig beschissen. Es ist für jedes Selbstwertgefühl, selbst für ein stärkeres als das meine, kein Spaziergang, sich eingestehen zu müssen: Da will mich mal gar keiner sehen.

Am vierten Tag in New York verlasse ich die Wohnung in größeren Kreisen, wollte mich einer meiner Bekannten erreichen, war mir eingefallen, hätte ich ein Telefon bei mir. Die Straßen sind voller Magersüchtiger. Die sich fein kleiden, doch so viel habe ich schon verstanden, um davon nicht zu tief beeindruckt zu sein. Die Dame, deren Wohnung ich gemietet habe, unterdes möchte ich nicht wirklich wissen, wo sie während der Zeit schläft, sah beeindruckend aus. Groß, in Schwarz gekleidet, eine kirgisische Dramaqueen. Mit einem Rollköfferchen und auf Highheels war sie aus der Wohnung gegangen wie eine angetrunkene Katze. Bei näherer Untersuchung der Wohnung, die hier über 2000 Dollar kostet und bei uns nicht als Sozialwohnung durchginge, stellt sich heraus, dass die Vermieterin nahezu nichts besitzt, außer drei gepflegten Kleidungsstücken und fünf Paar hohen Schuhe, einer Zigarettenspitze, einer Federboa und Fotoalben mit kirgisischen Verwandten vor Jurten.

Da will natürlich keiner sitzen, und so kam sie nach New York, um zu kellnern, nebenher zu schreiben, zwischendrin noch als Skriptgirl und Reinigungskraft zu arbeiten. Das war vor 16 Jahren. Das Nach-New-York-Kommen und Seine-Energie-in-die-Stadt-Stecken und der Hoffnung hinterherlaufen. Und der Hund war immer schneller. Am fünften Tag verstehe ich, dass mich keiner anrufen wird, weil alle beschäftigt sind. Unentwegt. In New York ist man nicht zum Spaß. Entweder wurden sie hier geboren, die Leutchen, und werden groß, mit dem ehrlichen Wissen, dass man nur mit Geld etwas ist, oder sie kommen, um etwas zu machen. Das Ding. Egal in welchem Bereich, hier sind immer noch Karrieren möglich.

Ein Buch durchblättere ich, von einem, der von einer Karriere als Töpfer träumte und nun ein Haus in den Hamptons hat und Millionär ist. Mit getöpferten Vasen! Als Tourist hat man sich auf Shoppen und Central Park, auf Times Square und so ein Zeug zu beschränken, und jemanden treffen zu wollen, und ihm geschäftlich keine Vorteile zu bringen, ist anmaßend. Meine erste Woche in New York endet einsam in der Wohnung einer kirgisischen Träumerin, mit dem Gefühl - ich bin zu alt für New York. Vermutlich hätte ich es früher großartig gefunden. So lebendig und schnell wie das Tempo eines jungen Menschen.

New York, Tag 6-9: Ich nehme alles zurück. Die Stadt kann durchaus nett sein, wenn man in einer Suite im Four Seasons sitzt, auf den Central Park schaut und das Hotel auch noch so freundlich ist, mich umsonst da wohnen zu lassen, nur damit ich in einer deutschen Zeitung schreibe, dass es ein schönes Hotel ist.

Uneigennützig kann ich sagen: Das Four Seasons Hotel ist sehr schön. Die Zimmerpreise beginnen bei 600 Dollar, die neueste Suite, die dieses Jahr eröffnet wird, kostet dann 3000 Dollar. Scheiß der Hund drauf. Die Fenster kann man hier auch nicht öffnen, aber unten ist die "posh" Gegend der Stadt mit all diesen Kaufhäusern und dem Trump Tower in Gold, und unten hängt ein Foto von ihm, weil Herr Trump jetzt einen neuen Duft kreiert hat. Wer möchte wie Herr Trump riechen? Ein paar Menschen haben mich jetzt wirklich getroffen. Vermutlich benötigen Planungen hier einfach minimal eine Woche Vorbereitungszeit. Oder es war gerade kein wichtigerer Mensch vorhanden. Oder sie dachten, ich könnte ja mal wichtig werden. Das sicher nicht. Eine Nacht verbrachte ich im Garten eines Greenwich-Village-Hauses, mit einem Haufen Leute, die alle Drehbücher schreiben, in der Musikbranche tätig sind, fotografieren und Schmuck machen. Die saßen wie die Menschen in Deutschland auch bei schönem Wetter sitzen und redeten über Filme. Der Unterschied ist, dass der Musikbranchenmann mit B.B. King und Elvis Costello befreundet ist, der Filmmann gerade was mit Bob macht (Dylan), dass alle Damien kennen (Hirst) und das kleine Haus mit dem kleinen Garten 16.000 Dollar Miete wert ist. Einen Millionär traf ich, der ein Apartment in der Park Avenue besitzt (8,5 Mio.) und ein Haus in den Hamptons (10 Mio.), in dem leider seine Frau sitzt, von der er geschieden ist, und die jetzt den größten Teil seines Vermögens in Taschen umsetzt.

Ich liebe, wie die Menschen hier über Geld reden. Das interessiert einen doch. Und natürlich gehen alle zum Therapeuten und reden so sehr über Gefühle, dass man meint, sie versuchen sie herzustellen durch das professionelle Darüber-Reden. Hat man hier Zeit für Gefühle, und wozu sind die gut? In meiner zweiten New-York-Woche denke ich, das ist die Evolutionsspitze der Menschen hier, und alles, was wir nur aus Zeitungen und Filmen kennen, kommt aus Amerika, also aus New York. Steve Buscemi lief auf der Straße herum und sah aus wie der Bruder von Steve Buscemi, und in meinem Hotel schliefen Madonna, J Lo, Präsidenten und vermutlich finden sich noch Hautpartikel von ihnen in den Polstergruppen. Das wunderschöne Art-déco-Kaufhaus Bloomingdales verkauft all die Trikotagen, die die Stars in In Touch gerade ertragen. T-Shirts mit Häschen und Norma-Kamali-Badeanzüge.

Die Stadt kocht immer noch, und wenn man nicht das Geld für ein Sommerhaus (Brighthampton, 65.000 Dollar im Juli, immerhin mit Billardzimmer) hat, geht man nach Coney Island, um sich umsonst abzukühlen. Zusammen mit fünf Millionen einkommensschwachen New Yorkern stehe ich in der U-Bahn, quetsche mich auf die Straße, wo bei Nathans, dem ältesten Wurststand der Stadt, die Weltmeisterschaft im Hot-Dog-Essen stattfindet. Ein Japaner gewinnt. Hab' vergessen, wie viele Würste. Der Strand kocht und ist nicht zu sehen wegen der Menschen und Transistorradios, das Meer ist schwarz. Schwimmen mag man hier nicht so richtig, aber sich entspannen geht gut, denn hier sind alle übergewichtig. Wenn einem das nicht zusagt, wie mir im Moment, kann man an einen Pool gehen, den gibt es von umsonst und überfüllt (Astoria Park) bis zu 2000 Dollar die Saison in Long Island. In der zweiten Woche habe ich das Gefühl, die Stadt verstanden zu haben.

New York Tag 9, gut so: Ich habe Cameron Diaz und ihren Freund, dessen Namen ich immer vergesse, bei Barneys gesehen. Und einen iPod, den man in die Klopapierhalterung stöpselt. Und eine Klinik, die Vaginas verjüngt und Jungfernhäute wiederherstellt. Das sei jetzt Trend, auch bei über 40-Jährigen, sagte der Arzt. Jeden Tag kann man zwischen tausend Galerien, Filmen, Theatern, Konzerten, Events, Happenings, Musicals wählen. Jeden Tag macht ein anderer in der Stadt eine Monsterkarriere. Ein Masseur, der seine eigene Massageliege vertreibt und Milliardär wird, sich dann ein Apartment in der Park Avenue kauft und ein Hamptons-Haus und einen Chauffeur - und dann geht noch mehr. Sich den Lunch mit dem Helikopter einfliegen lassen. Dem Chauffeur einen eigenen Bentley kaufen. Egal. New York ist der Gipfel dessen, was geht. Das was geht, ist Geld. Ist Konsum. Alle anderen Ideen haben versagt. Natürlich kann man das verachten, aber eine Alternative gibt es nicht. Hier ist der Mittelpunkt der Welt. Eine Welt darüber, in der alles echter, menschlicher und gesünder ist, gibt es nicht. Was uns allen bleibt, ist reich werden, konsumieren. Menschen, Waren, schöne Orte, alles eine Frage des Geldes. Das macht die Leute freundlich grüßen, macht Termine möglich, verjüngt die Vagina - und dann? Dann wird es mal Zeit zu sterben. Und nach der Besichtigung des Gipfels der Zivilisation finde ich das nicht das Schlechteste. (Sibylle Berg, DER STANDARD/Printausgab, 27./28.09.2008)