Die Politikerinnen der ORF-Konfrontation waren ihr zu brav, ihren eigenen leidenschaftslosen Auftritt hält sie für Teil ihrer Rolle: Motivforscherin Sophie Karmasin, ehemals "ein bisschen Revoluzzer".

Foto: STANDARD/Regine Hendrich

Warum Fiona Swarovski nicht moralisch denken können kann und was das mit Gemüse zu tun hat, setzte sie Renate Graber auseinander.

STANDARD: Sie haben alle ORF-Konfrontationen verfolgt und analysiert. Haben Sie dabei eine einzige Überraschung erlebt? Kann Sie noch etwas überraschen?

Karmasin: Oh ja, doch. Mich hat etwa Jörg Haider überrascht, weil er sich so ruhig verhielt und eine neue Rolle angenommen hat. Dann Molterer, der zunächst sehr faktenorientiert und trocken war, dann wieder viel offensiver agierte, dann statisch, dann aufgeweckt und lebendig. Hing wohl von seiner Tagesverfassung und Arbeitsbelastung ab.

STANDARD: Sie interessieren sich besonders für Frauenpolitik. War die Frauenrunde nicht total brav?

Karmasin: Ich war total überrascht, die Frauen waren unengagiert und leidenschaftslos. Da hatten sie die Chance, zu zeigen, dass Frauenthemen hochaktuell sind und sie sich dafür einsetzen – und dann das: Sie haben dieses ganz typische, stereotype Verhalten an den Tag gelegt, nach dem Motto: "Wir Frauen müssen nett, gesittet, friedlich miteinander umgehen, ja nicht zu viel Emotion zeigen. Weil das wäre aggressiver Stil, und der ist nicht weiblich." Schade fürs Thema, sehr schade.

STANDARD: Enttäuscht, dass in den USA Hillary Clinton nicht mehr zurWahl steht?

Karmasin: Sehr enttäuscht, wäre ein großartiges Signal für die ganze Welt gewesen.

STANDARD:
Und sind die USA reif für einen schwarzen Präsidenten?

Karmasin: Ich hoffe es. Jedenfalls reifer für einen schwarzen Präsidenten als für eine Präsidentin. Auch bezeichnend.

STANDARD:
Sie sprechen von leidenschaftslosen Politikerinnen. Sie selbst haben im Fernsehen auch nicht gerade mitgerissen gewirkt.

Karmasin: Das gehört zu meinem Job; das verlangt die Rolle. Wobei ich manchmal glaube, dass ich mich bei Politikthemen zu sehr emotionalisiere. Politik, Frauenpolitik, Emanzipation, Gleichberechtigung begleiten mich persönlich schon sehr, sehr lange, schon seit meiner Pubertät ...

STANDARD:
Sie waren in Ihrer Schulzeit in Wien-Döbling tatsächlich eine "Emanze, die antiweiblich gekleidet war" , wie Sie mal erzählten? Kann ich mir gar nicht vorstellen.

Karmasin: Ja, in der Schule war ich ein bisschen der Revoluzzer, absolut unweiblich angezogen: lange, ungepflegte Haare, abgerissene Jeans, fern von Mode und Marken. Ein bisserl abgesandelt eben.

STANDARD: Sie wollten damals auch nicht ins Meinungsforschungsgeschäft Ihrer "spießigen Eltern". Sind dem Etabliertwerden aber nicht entkommen, waren Produktmanagerin bei Henkel, für Persil und Somat, gingen dann doch zu Ihren Eltern.

Karmasin: Man ändert sich halt. Ich habe Psychologie und Wirtschaft studiert, war für Henkel in Belgien und Holland. Ich hab mir bewiesen, dass ich woanders Karriere machen könnte, um dann das zu tun, was ich unterbewusst schon immer machen wollte.

STANDARD: Der Dank war, dass Sie am Telefon alle mit Ihrer Mutter Helene verwechselt haben und alle lieber mit ihr reden wollten.

Karmasin: Ja, der Anfang war echt hart. Ich war ja nur die Tochter.

STANDARD: Bleiben wir bei den Töchtern. Die Wahlen werden von den Stimmen der Frauen entschieden, die sind aber auch am längsten unentschlossen. Entscheiden Sie sich auch erst in der Wahlzelle?

Karmasin: Ich entscheide mich am Samstagabend. Aber es wird mir nicht leichtfallen.

STANDARD: Frauenthemen waren im Wahlkampf eher unterbelichtet.

Karmasin: Sehr. Nicht einmal Molterer hat das von der ÖVP vorgeschlagene erwerbsabhängige Kindergeld erwähnt, die Frauenrunde auch nicht. Den Parteien ist überhaupt nicht bewusst, wie enorm wichtig das Thema ist. Nur 24 Prozent aller Österreicherinnen fühlen sich gleichberechtigt – das ist doch ein Wahnsinn.

STANDARD: Sie sagen, dass Angela Merkel mit Kindern nie Bundeskanzlerin hätte werden können. Warum soll das so sein?

Karmasin: Weil die Rahmenbedingungen für Frauen noch immer nicht stimmen, dahinter steckt die Haltung, dass die Mutter das Beste für die Betreuung der Kinder ist. Wobei dieses Stereotyp in Österreich extrem ausgeprägt ist, deswegen wollen Politiker ja in Wirklichkeit gar nichts ändern an den Rahmenbedingungen für arbeitende Frauen, weil es ihren Wertvorstellungen widerspricht. Da wird lieber alles totgeredet und nichts geändert; über die Kindergärten diskutieren wir seit 20 Jahren. Es ist halt auch einfacher, eine Mehrwertsteuersenkung zu verkaufen, wenn sie auch nur fünf Euro im Monat bringt, als komplexe Probleme zu lösen, womit Müttern, aber auch Vätern geholfen wäre.

STANDARD: Haben Sie früher eigentlich "Emma" gelesen?

Karmasin: Ja, natürlich, und alle diese Bücher. Das Problem ist, dass den Österreichern das Frauenthema schön langsam langweilig wird. Man muss das Thema neu positionieren, umbenennen, einem Relaunch unterziehen. Neue Leute sollten sich seiner annehmen.

STANDARD: Herbert Haupt? Im Ernst: Wer sollte das tun?

Karmasin: Wer? Da kann ich mich wirklich nicht outen.

STANDARD: Sie wollen die Emanzipation begraben?

Karmasin: Nein, nur den Begriff sollte man nicht mehr verwenden. Mit Emanzipation ist so etwas Kämpferisches, Negatives, Extremes verbunden. Dadurch bekam das Thema Randgruppenstatus.

STANDARD: Aber jetzt haben Sie doch gerade kritisiert, dass Politikerinnen nicht kämpferisch auftreten ...

Karmasin: Das hatte andere Gründe. Die Frauen haben wohl gedacht, sie müssten im Fernsehen so agieren: brav und angepasst. Sie können aber ganz anders, im Politikerleben kämen sie mit diesem Stil ja nicht weiter.

STANDARD: Sie haben 2003, nach einer Umfrage, laut der 39 Prozent der Befragten als Traumberuf Hausfrau nannten, den "Klub für Frauen" mitbegründet. Mitglieder sind Sie, Managerinnen, Politikerinnen wie Eva Glawischnig oder Ulli Sima. Recht elitär. Schon etwas bewirkt?

Karmasin: Wir leisten einen kleinen Beitrag, mit Diskussionen und Plakaten gegen Stereotype, das kann Politik nicht ersetzen. Und weil Sie sagen elitär: Ich sage ja immer, dass die sogenannten Vorzeige-Karrierefrauen eher kontraproduktiv sind. An ihrem Beispiel sagt man anderen Frauen, die keine Managerinnen mit tollen Einkommen und Aupair-Mädchen und Kinderfrauen sind: "Seht ihr, es geht doch." Es geht aber eben nicht, es hakt an allen Ecken, nicht nur am Geld für Kinderbetreuung.

STANDARD: Sie haben zwei Kinder und gehören schon auch zu den Privilegierten, oder?

Karmasin: Ja, ich habe Helfer und die Unterstützung meines Mannes. Das ist sehr privilegiert.

STANDARD: Wie gefällt Ihnen denn das Weltbild einer Eva Herman?

Karmasin: Furchtbar, kontraproduktiv, verantwortungslos, dumm.

STANDARD: Christine Vranitzky war auch originell mit "Ich halte nichts davon, dass Frauen Kinder kriegen und sie um sieben Uhr früh abgeben, um dann vielleicht vier- oder fünftausend Schilling zu verdienen".

Karmasin: Ja, sie hat Kindern auch Golfspielen empfohlen, als Drogenprävention. Aber es ist auch interessant, was Fiona Swarovski zum Besten gibt: Tipps zum Gemüseziehen auf der Terrasse. Frauen in diesen Positionen sollten doch versuchen, aus ihrem eigenen Leben ein wenig herauszutreten und zu schauen, wie das Leben läuft.

STANDARD: Sie sind die Motivforscherin. Was bewegt diese Frau?

Karmasin: Sie sieht das Leben nur aus ihrer Perspektive und kann nicht abstrahieren und reflektieren. Das ist etwas zutiefst Egoistisches, ein wenig geistig eingeschränkt.

STANDARD: Und unmoralisch. Oder?

Karmasin: Über diese Kategorie denkt Fiona wohl nicht nach. Moralisch denken kann man erst, wenn man etwas über den Dingen steht und die Welt distanzierter betrachten kann.

STANDARD: Apropos Durchblick. Ein Kommentator hat rund um die Mehrwertsteuer-Wachtelei-Debatte jüngst geschrieben, die österreichische Politik sei auf dem Niveau der Wähler angekommen. Ist das nicht sehr zynisch?

Karmasin: Nein. Die wenigsten Wähler sind Ökonomieprofessoren, sie müssen daher darauf vertrauen können, dass Politiker sinnvolle Vorschläge machen, etwa gegen die Teuerung. Dass Politiker wissentlich etwas Falsches vorschlagen, das wäre verwerflich, das wäre unmoralisch.

STANDARD: Immer wieder werden die "hohen Gehälter" der Politiker kritisiert. Manager verdienen ein Vielfaches – halten Sie deren Gehälter für unmoralisch hoch?

Karmasin:
Politiker tragen mehr Verantwortung für Land und Wohlergehen jedes Einzelnen, also müssten sie zumindest gleich bezahlt werden wie Topmanager. Aber ich glaube nicht, dass Politiker mehr verdienen sollten, sondern die Managergehälter sollten runter. Die Koppelung an den Gewinn ist sowieso falsch, weil manche Manager kurzsichtige Entscheidungen treffen, um ihr eigenes Gehalt zu retten.

STANDARD: Sie haben kein erfolgsabhängiges Einkommen?

Karmasin: Ich bin Unternehmerin und lebe vom langfristigen Erfolg unseres Unternehmens.

STANDARD: Was sind denn in Ihren Augen die wichtigsten Eigenschaften für einen Politiker?

Karmasin: Neugierde, Veränderungslust, Konfliktbereitschaft, Team- und Kommunikationsfähigkeit. Wir haben ja gerade erlebt, was passiert, wenn Politiker nicht mehr miteinander reden wollen.

STANDARD: Die Politik: kein Platz für Leidenschaft?

Karmasin: Doch, doch, man muss spüren, dass da jemand mit Haut und Haar aus vollem Herzen für etwas kämpft. Emotion und Leidenschaft müssen zur sachlichen Auseinandersetzung dazutreten. Rhetorisch gefinkelt, schlagfertig, witzig, originell ... Die Mischung haben nur wenige Politiker bei uns.

STANDARD: Letzte Frage. Worum geht's im Leben?

Karmasin: Ja. Worum geht es? Um Neugierde, Weiterlernen, Weiterentwicklung. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27./28.9.2008)