Robin Hobb: "Im Bann der Magie" ("Nevare" 2)
Gebundene Ausgabe, 832 Seiten, € 26,70, Klett-Cotta 2008.
Ein Buch, das nie aufhört, für eine Geschichte, die nie anfängt. Teil 1 der "Nevare"-Trilogie von Margaret Lindholm Ogden alias Robin Hobb hatte so einige Längen (zur Nachlese hier) - umso interessanter also zu sehen, ob die Geschichte um den Soldatensohn Nevare nun in die Gänge kommt. "Die Schamanenbrücke" hatte damit geendet, dass an der Kavalla-Akademie, an der Kadett Nevare ausgebildet wurde, die Fleckseuche aus dem Osten des Landes Einzug hielt. Die biologische Attacke konnte niedergerungen werden, doch forderte sie zahlreiche Opfer. Und während die überlebenden Infizierten von der Seuche bis aufs Skelett abgemagert wurden, setzt Nevare nach seiner Heilung eine mysteriöse Speckschwarte an. Was sich nebenbei als symbolisch für den ganzen Roman herausstellen wird ...
Der Inhalt von "Im Bann der Magie" ("Forest Mage") ist rasch erzählt: Nevare wird wegen seiner zunehmenden Fettleibigkeit von der Akademie ausgemustert, besucht seine Familie und zieht schließlich nach Osten in die schäbige Garnisonsstadt Gettys weiter, wo er sich mit mäßig verantwortungsvollen Arbeiten verdingt. Und hier gerät er auch in einen wachsenden Loyalitätskonflikt gegenüber seinem Heimatland Gernien und den wilden Fleck, welche ihn einst verflucht und den Keim einer zweiten, magisch begabten, Persönlichkeit in ihm verankert haben. Dies erstreckt sich nun - bei engem Drucksatz - auf über 800 Seiten (und ist dabei immer noch nur der Mittelteil einer Trilogie). Auf vergleichbarer Distanz wäre man von Bilbos Geburtstagsfest bis zur Entmachtung Sarumans gelangt oder hätte dreimal "Das letzte Einhorn" von vorne bis hinten gelesen - und wie unendlich viel mehr hätte man dabei erlebt!
Gediegen wie ein Gesellschaftsroman des 19. Jahrhunderts flaniert "Forest Mage" dahin - Nevare liest Briefe seiner Verwandtschaft (und erfährt dabei unter anderem, dass seine Cousine eine Steppdecke geschenkt bekommen hat) oder stellt "zu seinem Schrecken" fest, dass seine Schwester beim Familiendinner den Fischgang weggelassen hat. Kurz gesagt: In jener Zeit passierte nur wenig Erwähnenswertes. Erwähnt wird es dennoch, und zwar en detail und oft genug leider in wiederholter Ausgabe. Streitgespräch zwischen Nevare und seinem Vater, der nicht glauben will, dass die Fettleibigkeit seines Sohns an einem magischen Fluch liegt, gibt es nicht eines, sondern drei, vier, ... warum nur? Für die Übersetzung ließ sich da nichts mehr machen, das Buch ist, wie es ist. Aber dass Hobbs Originalverlag HarperCollins ihr nicht großdimensionierte Streichungen unnötiger Redundanzen abverlangt hat, nimmt schon Wunder. Und wenn mit ermüdender Konstanz buchstäblich über hunderte Seiten hinweg beschrieben wird, wie Nevare abwechselnd quälenden Hunger verspürt, etwas isst und sich wehleidig fürs Dickerwerden schämt, ist man - obwohl man's als Leser besser weiß - langsam geneigt sich der Meinung des Vaters anzuschließen: Nevare frisst einfach zuviel. Hobb tut ihrem Protagonisten mit dem endlosen Reigen von Speisekarten-Passagen keinen Gefallen; und auch nicht mit - Fluch der Ich-Perspektive - Befindlichkeiten, Befindlichkeiten, Befindlichkeiten. Zumal denen eines selbstgerechten Teenagers, der am laufenden Meter Anlässe findet sich über etwas zu empören. Sympathisch wird einem Nevare nie.
Kommen wir zu den Positiva der "Nevare"-Welt, deren größtes ihr Realismus ist: Hobb schildert glaubwürdig die sozialen Auswirkungen, die das kolonialistische Bestreben einer prämodernen Gesellschaft wie dem gernischen Reich mit sich bringt: Die zur Sesshaftigkeit gezwungenen einstigen Nomaden im Osten des Reichs verelenden, die jenseits der Grenze lebenden Fleck müssen sich gegen ein Straßenprojekt wehren, mit dem neues Land erschlossen werden soll und dem ihre Heiligen Bäume zum Opfer fallen würden. - Bemerkenswert auch, welch (blut-)roter Faden sich durch die Handlung zieht: Nevare, dem Unglücksboten ohne eigenes Zutun, folgen die Katastrophen auf seinem Weg: Erst die Seuche an der Akademie, dann die Zerstörung eines magischen Monuments, der Tanzenden Spindel, später der gewaltsame Tod von Nevares einstigem Lehrer und die Infektion seiner Familie mit der Fleckseuche: Wohin er auch kommt, scheinen ihm Tod und Zerstörung zu folgen, ohne dass Nevare dabei je eine aktive Rolle spielen würde. Für einige Zeit erweckt diese Ereignisfolge den Eindruck einer geschickt gewählten indirekten Erzählweise - später verläuft aber auch diese Spur im Sande der Redundanzen und Nebensächlichkeiten.
Robin Hobb ist mit "Nevare" offensichtlich ein Projekt, an dem sich schon viele AutorInnen versucht haben, angegangen: den großen Roman. Sie hat einen langen geschrieben.