"Das Leben der Anderen", Florian Henkel von Donnersmarcks Oscar-prämierter Stasi-Film von 2005, ist ein Film über den Permafrost. Eine hohe Charge der Staatssicherheit (Ulrich Mühe) wird aus Gründen untadeliger Gesinnung als "allwissendes Auge" installiert. Hauptmann Wiesler stülpt sich Kopfhörer über; er blickt, ohne mit den Lidern zu zucken, minutenlang mit wasserblauen Augen in eine Leere hinein, die so glatt-grau ist wie seine vollsynthetische Zippjacke. Die trägt er, bis ans Herz vereist, wie einen Insektenpanzer, der einen Kalblütler vor menschlichen Wärmeeinbrüchen schützen soll.
Protokolliert wird von diesem "Gedankenleser" das Leben einer ostzonalen Bohème, die glaubt, sich ausgerechnet in der bleiernen Mitte des Arbeiter- und Bauernstaates einen immergrünen Rückzugsraum einrichten zu können. Donnersmarcks Film kippt mit Fortdauer immer mutloser ins Melodram hinüber: Zwischen einem Dramatiker (Sebastian Koch) und einer Starschauspielerin (Martina Gedeck) werden Zweifel und Zwietracht gesät. Wiesler, "Schild und Schwert" der staatlichen Einheitspartei, registriert an sich störende Regungen einer emphatischen Anteilnahme. Er beginnt, sich in die Leben jener "anderen", die ihm die Fähigkeit zur Privatinitiative voraushaben, manipulierend und monströs "helfend" einzubringen.
Das Ereignis dieses bestürzenden Films liegt in Mühes Performance - dem Schwanengesang eines Mimen, dessen aufreizende Passivität spektakulär absticht von der nervösen Unruhe der "Staatsschützer" und "Oppositionellen" rund um ihn. Mühe, der bald nach dem Oscar an Krebs starb, trug seine eigene private IM-Opfergeschichte im schauspielerischen Marschgepäck. Der Puls eines von Stockung bedrohten Herzens - nachzitternd im DDR-Eis. (poh/DER STANDARD, Printausgabe, 29.9.2008)