So verfalle ein Ort des guten Bauens zu einem Unort polemischer Diskussionen, sagen Kritiker.

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Wer Architektur sagt, muss auch Vorarlberg sagen. Nach wie vor genießt die Baukunst im westlichsten Bundesland einen so hohen Status wie nirgendwo sonst. Das hat Tradition. Vorarlberg ist das einzige Bundesland, in dem nicht nur ausgebildete und beeidete Architekten, also Ziviltechniker, Pläne verfassen können, sondern jeder Bürger und jede Bürgerin.
Doch ohne Reglementierung geriet die Raumplanung außer Kontrolle. Heute ist Vorarlberg ein flächendeckender Einfamilienhausteppich. "Natürlich ist die Zersiedelung im Raum Bregenz nicht so stark zu spüren wie im übrigen Land", sagt der Vorarlberger Architekt Much Untertrifaller, "dazu ist die Stadt viel zu dicht bebaut und topografisch beengt. Aber Stadtgefühl kommt in Bregenz keines auf."

Dabei wäre es für die Stadt sehr wichtig, sich zum Städtischen zu bekennen. Es gibt einige tolle Projekte wie das Kunsthaus Bregenz des Schweizer Architekten Peter Zumthor (1997) oder die Totalsanierung und Erweiterung des Festspielhauses, die das Büro Dietrich Untertrifaller vergangenes Jahr abschloss. Und hie und da gibt es einen modernen Impuls, ein freches Café, eine fesche Boutique. "Doch trotz dieser singulären Bauten fehlt der Zusammenhang, und der Stadt mangelt es an Visionen", beklagt der Architekt.


Schwieriges Thema

Heike Schlauch, die gemeinsam mit Robert Fabach das Bregenzer Architekturbüro raumhochrosen betreibt, scheint den Grund zu kennen: "Ein schwieriges Thema in dieser Stadt ist das Gewicht der öffentlichen Meinung." Sehr oft würden öffentliche Diskussionen in den Medien übersteigert. "Die Bedürfnisse und Anliegen zu hören ist wichtig, aber es darf nicht so weit gehen, dass Gestaltungsfragen zum Volksentscheid werden." In Bregenz stellt Schlauch eine "gewisse Visionslosigkeit" fest: "Es gibt eine Scheu vor fachlicher Diskussion von städtebaulichen Gesamtbildern."

Eine Nagelprobe dafür wird die Entwicklung des Seestadtareals sein. Der Masterplan unter Leitung von Carl Fingerhuth befindet sich in der zweiten Phase. Dabei soll die ÖBB-Trasse, die die Stadt vom See trennt, auf fußgängerfreundliche Weise überbrückt werden. Die Straßenführung wird überdacht und das Bahnhofsgebäude neupositioniert. Vier Varianten stehen zur Diskussion. Doch auch hier ist zu hören: "Das Bürgerverfahren ist im Laufen, derzeit werden die Bürger angehört", erklärt Stadtbaumeister Bernhard Fink.

Nicht befragt werden die Architekten - in ihren Augen der falsche Weg. Wohlgemerkt gibt es in Bregenz seit zwei Jahren einen Gestaltungsbeirat. Neben seinen Kernaufgaben der Stellungnahmen zu Bauprojekten lautet die dringliche Aufgabe an ihn, städtebauliche Fragen aufzuwerfen und dem Volk das Hobbyentwerfen abzunehmen. (Wojciech Czaja/DER STANDARD-Printausgabe, 30.9.2008)