Sonntagnachmittag. Eine private Wahlparty in Wien-Mariahilf. Es gibt Kürbiscremesuppe und Aperol-Spritzer, was niemand hier symbolisch nimmt. Der Gedanke, das BZÖ zu wählen, liegt so fern wie irgendwas. Man will in den trendigen Genüssen nicht den alten Wilfried-Hit "Du hast mir mein Orange verpatzt" wahr werden lassen. Eigentlich müsste es Spinat und Absinth geben, vielleicht auch etwas Rotwein und Lakritze.

Die Stimmung ist gut, fast ausgelassen, über den versteckten Gusenbauer wird gewitzelt, über amerikanische Bankiers, die jetzt Banker heißen und Bankerl reißen, über den Gemüsegarten der Fiona Grasser - bis mit den ersten Hochrechnungen auch die Speisen wieder hochkommen. Alle ahnten, dass Strache, die Ikone der zu kurz Gekommenen, der die großen Weltreligionen in Judentum, Buddhismus, Christentum und Daham umbenennen und Österreich den Österreichern vorbehalten will, gewinnen wird. Aber dass das rechte Zwetschken- und Orangen-Lager fast zur stärksten Fraktion wird, stößt dann doch allen unangenehm auf. Man ist traurig, wütend, sprachlos. Und hätte sich nicht Werner Faymann ins Manneken-Piss-Boot der Kronen Zeitung gesetzt, das Ergebnis wäre wohl noch beängstigender ausgefallen.

Der Souverän hat den Großparteien also eins ausgewischt. Oder ist jetzt jeder dritte Österreicher ein geifernder, EU-verachtender Ausländerhasser? Ist es für aufgeklärte Menschen wieder an der Zeit, ans Auswandern zu denken? Aber wohin? Nach Italien? Polen? In die Schweiz? Oder Zeit für das, was ein Schauspieler in seiner ersten Erregung mit "Ich könnt' kotzen!" galant formuliert.

Der Rechtspopulismus ist kein österreichisches Phänomen, er ist wie eine alle europäischen Länder erfassende Seekrankheit, die Viktor Klemperer in seiner "LTI" als Beispiel für den Nazismus wunderbar beschreibt: "Da stand am Ende der langen Bank ein kleines Mädchen auf, lief an die Reling und übergab sich. Eine Sekunde später erhob sich die neben ihm sitzende Mutter und tat ebenso. Gleich darauf folgte der Herr neben der Dame. Und dann ein Junge, und dann ... Die Bewegung lief gleichmäßig und rasch weiter, die Bank entlang. Niemand schloss sich aus. Es wurde interessiert zugesehen, es wurde gelacht, es wurden spöttische Gesichter gemacht. Und dann kam das Speien näher, und dann verstummte das Lachen, und dann lief man auch auf unserem Flügel an die Reling. Ich sah aufmerksam in mich hinein. Ich sagte mir, es gebe doch so etwas wie ein objektives Beobachten, und darauf sei ich geschult, und es gebe einen festen Willen, und ich freute mich auf das Frühstück - und indem war die Reihe an mir, und da zwang es mich genauso an die Reling wie all die anderen." Und jetzt ist also Österreich dran - zum Kotzen!

Aber was mir besonders den Magen dreht und mich nach einem Speibsackerl umsehen lässt: Gewählt wurden die Rechten von der Jugend, von den unter 30-Jährigen. Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient. Aber wenn sechs in einem Boot sitzen und davon fünf beschließen, den sechsten über Bord zu werfen, ist das zwar demokratisch, aber nicht rechtens - und schon gar nicht angenehm, besonders, wenn man selbst der Sechste ist.
Der gar nicht elefantenrunden Ingrid Thurnher, der Name muss aus Oberhauser-Zeiten stammen, hörte man in Mariahilf kaum noch zu. Haider lungerte mit braunen Boots im Sessel, als wenn er von Villach bis nach Wien geritten wäre, und Strache hatte dunkle Schatten um die windhundblauen Augen - wohl vom letzten Clubbing. Beides sind Politiker, die es früher nicht gegeben hätte: frech, jovial, aufgeregt und für viele wohl auch sexy.

Laut einer eben veröffentlichten Umfrage sind 83 Prozent der Österreicher mit ihrem Leben nur mäßig bis gar nicht zufrieden. Es ist also kein Wunder, wenn viele der Frustrierten und Verängstigten im rechten Lager Heimat, Heilung oder sonst was sehen. Aufgabe der sozialdemokratischen und bürgerlichen Politik muss es nun sein, diese Menschen in ihren Nöten endlich ernst zu nehmen, ihnen klarzumachen, wie gut es ihnen in Österreich eigentlich geht, wo vielleicht gar nicht so viel zum Kotzen ist - abgesehen von der Politik. (Franzobel/DER STANDARD, Printausgabe, 30.9.2008)