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Irakische Christen protestieren in Moisul gegen das neue Provinzwahlgesetz.

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Bagdad/Wien - Einerseits Erleichterung, andererseits neuer Ärger: Zu Wochenbeginn gingen in einigen Städten in der nordirakischen Provinz Niniveh Christen und Angehörige anderer Minderheiten, zum Beispiel der Shabak (ethnische Kurden mit einer synkretistischen Religion), auf die Straße, um gegen das neue Provinzwahlgesetz zu demonstrieren. Sie sind empört über die Abschaffung von Artikel 50, der Minderheitenquoten in den Provinzräten vorsah.

Die kleinen ethnischen und konfessionellen Minderheiten, die besonders im kurdisch-arabischen Grenzgebiet leben, fühlen sich getäuscht, denn frühere Entwürfe hatten die Quoten noch enthalten. Kritisiert wird auch die UNO, deren Vermittlung die Einigung nach monatelangem Streit im Parlament in Bagdad zu verdanken ist.
Dabei markierte die Verabschiedung des neuen Provinzwahlgesetzes vorige Woche einen echten Durchbruch, wenngleich manche Probleme nicht gelöst, sondern nur vertagt wurden. Gewählt werden soll nun bis Ende Jänner 2009 in 14 von 18 Provinzen, ausgenommen sind die drei kurdischen Provinzen (Erbil, Sulaymania und Dohuk), für die das kurdische Regionalparlament in Erbil ein eigenes Wahlgesetz ausarbeiten wird, und Kirkuk.

Am Streit um Kirkuk - um die Zugehörigkeit zum arabischen oder zum kurdischen Teil des Irak - war das Gesetz, das eigentlich bis Ende Juli fertig sein sollte, bisher gescheitert. Die Kurden hatten eine Sonderregelung mit Quoten für Araber, Kurden und Turkmenen abgelehnt, die das im Juli präsentierte Gesetz vorsah. Nun wird eine parlamentarische Kommission eingesetzt, die bis Ende März Lösungsvorschläge unterbreiten soll. In Kirkuk und anderen umstrittenen Gebieten an der arabisch-kurdischen Grenze hätte ja bereits bis Ende 2007 ein Referendum stattfinden sollen.

Korrektur von Jänner 2005

Die arabisch-kurdischen Spannungen - am Wochenenden kam es in Diyala sogar zu Zusammenstößen zwischen Peshmerga und der irakischen Armee - haben einen wichtigen Schritt im politischen Integrationsprozess um vier lange Monate verzögert. Besonders in den Provinzen mit sunnitischen Bevölkerungsanteilen ist eine Korrektur der Ergebnisse der Provinzwahlen vom Jänner 2005, die von den arabischen Sunniten weithin boykottiert wurden, überfällig. Dort werden die Provinzräte von Schiiten dominiert.

Aber es geht auch um innersunnitische Politik: Die seit 2007 entstandenen neuen politischen sunnitischen Kräfte stellen den Alleinvertretungsanspruch der in Parlament und Regierung in Bagdad sitzenden sunnitischen Gruppen infrage, allen voran der alten Islamischen Partei (IIP). Diese Entwicklung ist durchaus auch mit Skepsis zu betrachten, denn sie läuft entlang einer der vielen irakischen Bruchlinien: die urbanisierte sunnitische Elite einerseits und die Stämme andererseits, deren Milizen seit eineinhalb Jahren von den USA finanziert wurden, um Al-Kaida zu bekämpfen.

Aber auch in den schiitischen Gebieten im Süden des Irak wird sich einiges ändern: Die Sadristen (Anhänger von Muktada al-Sadr) werden zu den Wahlen nicht als Gruppe antreten, sondern als Unabhängige, was die fraktionierte politische Landschaft noch unübersichtlicher machen wird. Die politischen Mainstream-Schiiten - die große Partei "Höchster Rat" (ISCI) und die Dawa-Partei von Regierungschef Nuri al-Maliki - waren sich untereinander einig, solange es darum ging, die Sadristen zurückzudrängen, notfalls mit Gewalt. Nun kommt es jedoch vermehrt auch zu Spannungen zwischen Dawa und ISCI, welche Maliki vorwirft, zunehmend persönliche Machtpolitik zu betreiben.  (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 1.10.2008)