Der Irak ist das beste Beispiel dafür, dass beim Übergang eines Landes von einer Diktatur zu einer Demokratie Wahlen zwar ein wichtiger Schritt, aber kein Allheilmittel sind. Im Dezember 2005 strömten die Iraker und Irakerinnen bei den Parlamentswahlen trotz Lebensgefahr in Massen zu den Urnen - um mit ihrem rein konfessionellen und ethnischen Wahlverhalten die Bruchlinien im Irak dramatisch zu vertiefen. Da trotz einer "Regierung der nationalen Einheit" (die im Moment ihrer Bildung schon wieder zu zerbrechen begann) kein gemeinsames nationales Projekt verfolgt wurde, dachten die einzelnen Gruppen nur noch an die Durchsetzung eigener Interessen, die einen mehr, die anderen weniger brutal.

Das Schauspiel, das das irakische Parlament in den vergangenen Monaten, fünf Jahre nach der Befreiung des Irak, beim Streit ums Provinzwahlgesetz geboten hat, stimmte nicht gerade optimistisch: Da musste man sich fragen, ob die Interessenslage einzelner Gruppen die überfälligen Provinzwahlen, die eine die Realität widerspiegelnde politische Repräsentation auf Provinzebene bringen sollen, überhaupt zulässt. Das Wahlgesetz wurde zur Geisel aller möglichen anderen Auseinandersetzungen, und alle wollten alles.

Nun ist der Durchbruch da, aber die Sorge bleibt: Der Kompromiss wurde nur durch Vertagung des echten Problems gefunden, der Zukunft Kirkuks und der umstrittenen Gebiete. Dass gerade die Ansprüche kleiner Minderheiten beim Wahlgesetz unter den Tisch gefallen sind, ist symptomatisch: Wir sind in der Mitte eines arabisch-kurdischen Interessenkonflikts, dem sich alles unterzuordnen hat. Mit Demokratie hat das jedoch wenig zu tun. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 1.10.2008)