Zur Person: Vedran Dzihic (32) arbeitet am Institut für Politikwissenschaft in Wien und ist Direktor des Wiener Büros des Center for European Integration Strategies (CEIS).

Die "größte diplomatische Offensive" in der Geschichte Serbiens war am Mittwochabend letztendlich von Erfolg gekrönt. Die UN-Generalversammlung stimmte für Serbiens Antrag, die Legitimität der Unabhängigkeit des Kosovo vom Internationalen Gerichtshof (IGH) überprüfen zu lassen. (derStandard.at berichtete)

Als "vergebene Liebesmüh" bezeichnet der Balkanexperte Vedran Dzihic diesen serbischen Schritt im derStandard.at-Interview. Denn ein Spruch des IGH habe keinerlei Verbindlichkeit. Dzihic warnt davor, dass die politische Auseinandersetzung von dringlicheren Problemen ablenke. Für ihn ist der Knackpunkt die schlechte wirtschaftliche Lage im Kosovo und damit auch der Kosovoserben. Um einen wirtschaftlichen Zusammenbruch zu vermeiden, sollten Serbien und Kosovo endlich zusammen an einer Lösung des Problems arbeiten.

****

derStandard.at: Die Belgrader Regierung erreichte bei der UN-Generalversammlung in New York einen Teilerfolg im Kampf gegen ein unabhängiges Kosovo. Der Antrag auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Unabhängigkeit des Kosovos vom Internationalen Gerichtshof (IGH) ging durch. War das vorhersehbar?

Dzihic: Ja, das Ergebnis der Abstimmung ist das Resultat einer großen serbischen Kraftanstrengung. In den letzten Monaten hat die serbische Regierung alle Kraft darauf verwandt, in die afrikanischen und die islamischen Länder zu reisen und dort intensivstes Lobbying zu betreiben. Das haben die Kosovaren überhaupt nicht getan.

derStandard.at: Wieso haben sich so viele Länder bei der Abstimmung enthalten?

Dzihic: Man will nicht eindeutig in die serbische Richtung gehen, aber auch nicht den radikalen politischen Akt setzen und dagegen sprechen. Es wäre außerdem eine schiefe Optik, wenn zum Beispiel Österreich gegen eine Bewertung durch den Internationalen Gerichtshof stimmen würde. Dass die USA dagegen stimmen, war zu erwarten.

derStandard.at: Wie könnte der Internationale Gerichtshof entscheiden?

Dzihic: Die Unabhängigkeit Kosovos hat keine präzise ausformulierte völkerrechtliche Basis. Bei einer konservativen Auslegung des Völkerrechts kann die Entscheidung durchaus zu Gunsten Serbiens ausgehen. Verpflichtende Konsequenzen hätte eine solche Entscheidung aber nicht. Kosovo wird sich von seinem Weg so auch nicht abbringen lassen und versuchen, den Prozess der Anerkennung weiter voranzutreiben. Montenegro und Mazedonien haben ja zum Beispiel schon ihre Absicht deklariert, demnächst anzuerkennen, Portugal hat gerade anerkannt.

derStandard.at: Was will Serbien mit der Verzögerungstaktik letztlich erreichen?

Dzihic: Das ist meiner Meinung nach auch in Serbien nicht ganz klar. Die rationalen Betrachter - auch ich - meinen, dass dieser Akt nur vergebliche Liebesmüh ist. Allerdings spielt das Thema Kosovo innenpolitisch eine große Rolle, Serbien kann sich also nicht leisten, dass Thema fallen zu lassen.

In meinen Augen wäre der einzige Weg für eine friedliche Koexistenz ein Aufweichen der serbischen Position und der Versuch, für die serbische Bevölkerungsgruppe das Maximum herauszuholen. Dann müsste man sich gemeinsam an die Lösung der schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Lage des Kosvo machen. Denn genau das ist der Knackpunkt und das wahre Problem des Kosovo und damit auch der Kosovoserben.

Die politische Auseinandersetzung überdeckt aber die substantiellen Fragen. Kosovo hat eine unglaubliche hohe Armutsrate, die ständig steigt. Die durchschnittlichen Pensionen liegen bei 50 bis 60 Euro, die durchschnittlichen Gehälter zwischen 150 und 200 Euro. Jedes Jahr strömen 30.000 fertig ausgebildete junge Kosovaren auf den Arbeitsmarkt, Arbeitsplätze gibt es aber nur an die 5000. Diese Entwicklung ist gefährlich. Irgendwann könnte Kosovo aus sozialen Gründen explodieren.

derStandard.at: Könnte sich nach der Entscheidung des Sicherheitsrates auch noch die Annäherung Kosovos an internationale Organisationen verzögern?

Dzihic: Nach der Geberkonferenz zum Kosovo im Sommer in Brüssel wurde ja auch eine Mitgliedschaft bei der Weltbank in Aussicht gestellt. Die Internationalen Organisationen werden aber sicher jetzt mal abwarten, welcher Spruch am Gerichtshof zustande kommt. Für die Regierung in Pristina ist das natürlich schmerzlich. Für die Infrastruktur in die allgemeine Wirtschaft im Kosovo wären Gelder der Weltbank sehr wichtig.

derStandard.at: Wie lange kann das dauern?

Dzihic: Ich möchte keine Prognosen wagen, aber in den nächsten Monaten wird nicht viel passieren. Und ich gehe davon aus, dass die serbische Regierung versuchen wird, den Prozess hinauszuzögern. Jahre werden es meiner Meinung nach aber nicht sein.

derStandard.at: Was bedeutet das für die Europaperspektive Serbiens, das 2009 Kandidatenstatus erreichen will?

Dzihic: Wenn die Kosovofrage sich weiter zuspitzt, die Spaltung innerhalb der EU zum Kosovo erhalten bleibt, und Serbien weiterhin die nationale Karte ausspielt, könnte sich das natürlich verzögern. Eine wichtige Frage wäre auch: Was ist mit der serbischen Perspektive des Kosovo? Die EU bezieht hier eine sehr diffuse Position. (Manuela Honsig-Erlenburg, derStandard.at, 9.10.2008)