Zum dritten Mal in etwas mehr als vier Jahren wählen die Kanadier am Dienstag ein neues Parlament. Der konservative Premier Stephen Harper, der das Land seit 2006 mit einer Minderheitsregierung führt, will mit der vorgezogenen Neuwahl klare Verhältnisse schaffen und hofft auf eine deutliche Mehrheit für seine Partei. Beherrschendes Thema des Wahlkampfs war die internationale Finanzkrise, und deren Eskalation in den vergangenen Tagen ist nach Ansicht von Beobachtern das Einzige, was Harpers Ziel gefährlich werden könnte.

Denn dessen Kalkül bei der Ankündigung der Neuwahl Anfang September war, dass die Chancen der Konservativen derzeit besserstehen als während einer für das kommende Jahr erwarteten Eintrübung der Konjunktur. Und außerdem sollten seine Landsleute nach dem Willen Harpers vor den Nachbarn im Süden wählen: Ein möglicher demokratischer Präsident Barack Obama im Weißen Haus hätte die Kanadier vielleicht animiert, ebenfalls einer liberaleren Regierung ins Amt zu verhelfen. Die traditionell starke Liberale Partei regierte das Land zuletzt bis 2006 für mehr als zwölf Jahre.

Und es schien wie ein kluger Schachzug: Kurz nach Ankündigung der Neuwahl, vor rund vier Wochen also, kamen Harpers Konservative in Umfragen auf bis zu 41 Prozent, vor den Liberalen von Stephane Dion mit 26 Prozent. Mit den zunehmenden Turbulenzen auf den Finanzmärkten ist das Konzept aber ins Wanken geraten. In einer Fernsehdebatte mit Harper vergangene Woche kritisierten die Vorsitzenden der anderen größeren Parteien - neben den Liberalen die sozialdemokratische NDP, der separatistische und ebenfalls sozialdemokratische Bloc Quebecois sowie die Grünen -, der Regierungschef habe kein Konzept für die wirtschaftlichen Herausforderungen.

Harper hat immer wieder betont, die Wirtschaft in Kanada sei stabil, und größere Interventionen seien nicht nötig. Unter Druck geraten, veröffentlichte Harper am Dienstag ein seit langem erwartetes neues Parteiprogramm der Konservativen, das aber außer Krediten für das produzierende Gewerbe kaum neue wirtschaftliche Initiativen enthält. Einen wahren Sturm der Empörung rief er mit der Äußerung hervor, "als Folge all dieser Panik" ergäben sich auf dem Aktienmarkt derzeit einige großartige Kaufgelegenheiten. Oppositionsführer Dion erklärte, dies zeige, dass Harper den Bezug zur Realität verloren habe.

Dion will im Fall eines Wahlsiegs innerhalb von 30 Tagen einen Finanzgipfel mit den wichtigsten Wirtschaftsakteuren des Landes einberufen und einen Weg aus der Krise entwickeln. "Wir können keinen Ministerpräsidenten behalten, der nichts getan hat, um uns auf die heutigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten vorzubereiten. Er hat keinen kurzfristigen Plan", sagte Dion am Dienstag. Und tatsächlich scheinen viele Kanadier angesichts der wirtschaftlichen Verwerfungen an der Kompetenz der Konservativen zu zweifeln: Eine am Donnerstag veröffentlichte Harris-Decima-Umfrage sah Harpers Partei nur noch fünf Prozent vor den Liberalen. (Nina Sündermann/AP/red)