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Zaimoglu: "Heute würde man sich nicht mehr als Kanake ausweisen, auch wenn der Begriff in die deutsche Sprache eingegangen ist."

Feridum Zaimoglu meint, er könne "als inoffizieller Ausländerbeauftragter Deutschlands fast jeden zweiten Tag im Fernsehen zu sehen sein", wenn er nicht ständig Medienabfragen absagen würde. Der deutschtürkische Schriftsteller hält vieles, was zum Thema Integration so geäußert wird, für zu abgehoben: Man müsse "aufhören zu schwätzen und Luxusdispute zu führen, und man sollte die Mängel und Defizite beim Namen nennen und nicht groß darüber debattieren, ob es rechtens ist, an deutschen Grundschulen deutsch zu sprechen. Es ist nicht nur rechtens, es ist ein Muss", so Zaimoglu, der die deutsche Geschichte der Zuwanderung für eine "Erfolgsgeschichte" hält. Der Schrifsteller stellte sich den Fragen des STANDARD-Redakteurs Stefan Gmündner.

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STANDARD: Sie haben zwar einmal gesagt, der große politische Rahmen gehe Ihnen am Allerwertesten vorbei. Da wir dieses Gespräch aber am Tag der Deutschen Einheit führen, frage ich trotzdem: Hat dieser Tag für Sie irgendeine Bedeutung?

Zaimoglu: Wie Sie wissen, hat das Nachdenken über Deutschland hier bei Befugten und Unbefugten eine lange Tradition. Allerdings sind Feiertage meine Sache nicht, und ich sehe keinen besonderen Anlass nachzudenken. Ich stehe dem Begriff "Einheit" recht nüchtern gegenüber.

STANDARD: Und dem Wahlausgang in Österreich?

Zaimoglu: Es war im Grunde genommen keine Überraschung, dass diese beiden unvermeidlichen Rechtsjunker ordentlich Stimmen einfangen würden. Man konnte vor und nach den Wahlen auch in den deutschen Medien einiges darüber lesen, und auch in den Artikeln, die den Wahlausgang in Österreich kommentierten, war man nicht sehr verwundert. Viele haben diesen Wahlausgang erwartet, ob er einem gefällt oder nicht. Mir gefällt er nicht, selbstverständlich nicht. Mit einfachen Parolen, Halbwahrheiten und politischem Blödsinn kann man immer für Furore sorgen. Da ich aber kein Intellektueller bin, werde ich jetzt nicht um die Zukunft Österreichs bangen. Bislang haben sich die Rechtsnationalen immer selber zerlegt, ich denke, man sollte jetzt mal abwarten, und wenn sich irgendjemand Gedanken machen sollte - und das tun die ganz sicher nicht, eher grübeln sie über Koalitionsmöglichkeiten nach -, sind das die so genannten Volksparteien, die sich im Stadium des Zerfalls befinden, den manche als Gesundschrumpfung bezeichnen. Die Volksparteien, _die Rechtsaußen und Linksaußen gebunden haben, haben diese Funktion nicht mehr. Übrigens nicht nur in Österreich, in allen europäischen Ländern, in ganz Europa.

STANDARD:  Auch in der Türkei? Man hat das Gefühl, der Nationalismus nimmt zu, und die eigene Identität wird betont.

Zaimoglu: Es ist immer so eine Sache mit der eigenen Identität. Sie wird ja immer behauptet und definiert sich darüber, "das Andere" als Gefahr und Zumutung zu beschreiben. Ich habe als Kind gern Comic-Hefte gelesen, und im Grunde sind diese ganzen rechtsnationalen "Heroen" unserer Zeit Comic-Figuren, ob sie nun Berlusconi, Sarkozy, Strache, Haider oder wie auch immer heißen. Diese Leute sind nicht echt, das sowieso nicht, aber sie sind auf eine so unappetitliche Weise nicht echt, dass es ja wirklich nur eine Frage der Zeit ist, bis jeder das merkt. Außerdem mag ich den Ausdruck "Protestwähler" nicht, als wären das Menschen, die leicht verwirrt sind und jetzt mal dem Establishment eins auswischen wollen. Im Grunde kann man sagen, dass die, welche diese Rechtsausleger wählen, wissen, was sie tun. Diese rechten "Helden" reden ja ganz deutlich, man kann sie nicht missverstehen. Es stimmt auch die anfängliche Analyse der tollen Demokraten nicht, hier würden Globalisierungsverlierer halt jetzt man Flagge zeigen. Das ist ein Blödsinn. Es war vielleicht eine große Illusion, und es ist schon erstaunlich, dass sie solange wirkte, vielleicht klappt das nur in den USA, dass zwei große Parteien die Wähler in all ihren Meinungen und Ansichten binden können. Die Zeit der Illusionen ist, was diesen Aspekt anbetrifft, vorbei. Dass dann die Zeit der noch größeren Illusion, nämlich der Stärke und Macht der eigenen Identität, anbricht, ist klar.

STANDARD: 13 Jahre ist es her, als Sie in "Kanaksprak" 24 Kunstfiguren die Frage stellten: "Wie lebt es sich als Kanake in Deutschland?" Würden die Antworten heute anders ausfallen?

Zaimoglu: Selbstverständlich, ich bin sehr froh, sagen zu können, dass "Kanaksprak" nichts weiter war als ein Dokument der Zeit. Ich gehöre, im Unterschied zu diesen unzähligen Türkenexperten, nicht zu den mit Weisheit Gesalbten. Das Buch war ein Buch der Zeit. Und nun, was würden die Angesprochenen heute, wenn sie mich nicht einfach nach Hause schicken würden, antworten? Worauf würden sie sich beziehen, oder was würden sie sagen? Ich glaube, der gesellschaftliche Schwund ist weiter vorangeschritten, es gibt zunehmend mehr Unterschichtssprösslinge, und ein Unterschichtssprössling wird zunächst einmal ganz nüchtern seine Lage erörtern und seine Bedürfnisse artikulieren. Heute würde man sich nicht mehr als Kanake ausweisen, auch wenn der Begriff in aller Munde ist und als geflügeltes Wort in die deutsche Sprache eingegangen ist. Kanake war ja im Grunde die Annahme eines Schimpfworts oder einer Zuschreibung. Seit dem 11. September 2001 redet man nicht mehr von "dem Ausländer", sondern vom "Moslem". Und im Zuge der heutigen ganzen öffentlichen Dispute würde sich der eine oder andere schon als Moslem verorten, dabei dann aber vielleicht einschränken, dass er den Geboten nicht unbedingt nachkommt. Andere würden, so wie ich, sagen, sie seien Deutsche und Punkt.

STANDARD: Die Türkei und ihre Kultur sind im Schwange, nicht zuletzt durch die Filme von Fatih Akin. Was versprechen Sie sich vom Auftritt der Türkei als Gastland der Frankfurter Buchmesse?

Zaimoglu: Einen Fehler darf man nicht machen, nämlich die marginalen Welten von Kulturarbeitern als bindend oder besonders einflussreich anzusehen. Die Menschen da draußen, in den anderen Wirklichkeiten, richten sich nach den Bedingungen des Lebens. Es mag zwar Kulturschaffende geben, die in den vergangenen Jahren mit ihren Werken eine gewisse Aufmerksamkeit erregten, allerdings ist es nicht so, dass die Menschen, die türkische Bücher lesen, türkische Filme schauen oder Theaterstücke ansehen, plötzlich ein völlig anderes Bewusstsein haben. Ich freue mich über den türkischen Auftritt als Gastland, weil ich natürlich ein emotionales Verhältnis zu dem Land meiner Eltern habe. Es werden sehr viele großartige Schriftstellerinnen und Schriftsteller, hunderte, nach Frankfurt kommen, und man wird feststellen, dass die Bücher dieser Kolleginnen und Kollegen für sich sprechen und dass es nicht viele Gemeinsamkeiten gibt. Auch gibt es große Unterschiede zwischen den Wirklichkeiten, die in den Büchern der türkischen Schriftsteller verhandelt werden, und denen der so genannten Deutschtürken. Ich rechne damit, dass für kurze Zeit der türkischen Literatur eine große Beachtung zuteil wird, eine große Aufmerksamkeit, mehr noch vielleicht als bei den Gastländern der vergangenen Jahre. Aber dieses Interesse verpufft sehr schnell, wie die Erfahrung der letzten Jahre zeigte.

STANDARD: Sie haben sich in Ihren Büchern immer wieder mit dem Thema der Randständigkeit auseinandergesetzt.

Zaimoglu: Randständig sind die Figuren in meinen Romanen immer vor allem dadurch, dass ich versuche, in den Büchern existenziellere Fragen anzuschneiden. Die Frage nach der Identität ist für mich eine wirklich sehr langweilige, sie bringt einen ja nicht wirklich weiter. Ich schreibe Romane, weil ich da Parallelwelten entwerfen kann. Bei Leyla zum Beispiel ging ich _selber an die Grenzen meiner Belastbarkeit, weil ich eine Frau sein musste in diesem Buch. Das Buch ist ja aus der Perspektive eines kleinen Mädchens und einer jungen Frau geschrieben. In Liebesbrand ging es um die existenzielle Situation der Liebe, eine Liebesvergiftung. Da ich in meinem Leben noch nie einen Identitätskonflikt hatte, beschloss ich vor einiger Zeit, dass mein Job der eines Geschichtenerzählers ist. Selbstverständlich werde ich dabei der Kulturschatztruhe meiner Eltern immer wieder etwas entnehmen. Natürlich war ich selbst einer, der sich an den Rändern bewegte. Wenn ich dann ins Erzählen, ins Schreiben kam, schrieb ich die Geschichten der Kollisionen, der Unverträglichkeit und der Fremdheit. Allerdings ist die Fremdheit zwischen Menschen verschiedener Herkunft bei weitem nicht so groß wie die Fremdheit zwischen Mann und Frau.

STANDARD: Sie haben es zwar satt, der "Türkenexperte" zu sein, melden sich aber doch immer wieder zu Immigrationsthemen öffentlich zu Wort.

Zaimoglu:  Man bekommt nur meine Einwendungen mit, nicht die ganzen Absagen. Wenn ich es darauf anlegen würde, könnte ich als inoffizieller Ausländerbeauftragter Deutschlands fast jeden zweiten Tag im Fernsehen zu sehen sein, aber das wäre ja sehr, sehr peinlich. Ich kann nur sagen, dass ich nichts weiß, und es ist ein wunderbares Gefühl. Ich kann nur immer wieder, wenn es mich erzürnt, dass man so leichtfertig mit dem Thema umgeht, etwas einwenden oder mich äußern. Was ich vor allem sehe, sind diese Experten, die sich auf dem Markt der Eitelkeiten tummeln, ob sie jetzt Islamkritiker heißen, oder ob es "Türkenexperten" sind. Diese Leute machen alles schlecht. Und wenn man etwas einwendet, sagen sie, nein, das ist falsch. Es ist falsch zu sagen, dass die Einwanderungsgeschichte gescheitert ist, ich habe immer wieder darauf hingewiesen, dass die Leute, welche das behaupten, noch nicht einmal ein türkisches Teehaus von innen gesehen haben. Ich weise immer wieder darauf hin, dass die Einwanderungsgeschichte eine Erfolgsgeschichte ist. Es ist aber auch eine Geschichte, welche die Menschen noch viele Jahre beschäftigen wird. Es geht darum, das Feld nicht den Haiders und den Straches zu überlassen. In Zeiten der sozialen Erosion, der Umbrüche und Einstürze muss es ja einen geben, auf den man einprügelt, zum Beispiel die Ausländer. Und wenn ich gefragt werde, schreibe ich dann manchmal einen Leitartikel oder sage etwas dazu. Im Grunde aber bin ich nichts anderes als ein Geschichtenerzähler.

STANDARD: Sie mögen den Begriff "Multikulti" nicht?

Zaimoglu: Es ist so, dass man durch Bürgervokabeln den Unterschichtsphänomenen Herr zu werden versucht, um sie kenntlich zu machen. Was allerdings eine Verunkenntlichmachung, eine Verbrämung zur Folge hat. Ich habe Multikulturalismus einmal als friedliche Koexistenz der Speisekarten bezeichnet, wir gehen gern mal beim Thailänder essen, oder beim Türken. Das ist ja alles schön und gut, aber die Welt ist viel spannender als eine Speisekarte, und ich weigere mich, mit den Begriffen und Vokabeln aus dem Soziologieseminar irgendwelche Wirklichkeiten da draußen zu beschreiben.
Das geht nicht, greift zu kurz. Dass es dann plötzlich en vogue wurde, Multikulturalismus zu geißeln, ist eine Sache, aber ich ziehe dabei sicher nicht an einem Strang mit jenen Rechtsreaktionären, die eigentlich nur vom Ethnopluralismus sprechen und Multikulturalismus verdammen. Ich meine, man sollte aufhören zu schwätzen und Luxusdispute zu führen, und man sollte die Mängel und Defizite beim Namen nennen und nicht groß darüber debattieren, ob es rechtens ist, an deutschen Grundschulen deutsch zu sprechen. Es ist nicht nur rechtens, es ist ein Muss. Man sollte aber gleichzeitig auch nicht die religiösen Gefühle der Menschen verletzen, egal woran diese glauben, noch sollte man denken, dass es sich überall so verhält wie in Berlin Mitte oder in irgendwelchen Luxusvierteln der Bürger oder der Großbürger.

STANDARD: Haben Sie Hoffnung?

Zaimoglu:  Meine Hoffnung ist, dass das Buch, das ich schreibe, klüger ist als ich. Wissen Sie, jetzt habe ich Antworten auf die Fragen gegeben, aber man soll mir nicht trauen. Es klingt alles zu plausibel, und die Hoffnung, die ich immer habe, oder die Freude, die ich empfinde, wenn ich Geschichten schreibe, ist, dass ich dann authentisch bin. Authentisch deswegen, weil ich vage sein kann, weil ich unsicher sein kann, weil ich aus einer Position nicht der Stärke, sondern der Schwäche schreibe. Das ist etwas, was mir Freude bereitet. Meine Hoffnung wird dann nicht enttäuscht, wenn ich bei oder nach den Lesungen auf Menschen treffe, mit denen ich über meine öffentlichen Äußerungen lachen kann, weil auch sie zu kurz greifen. Und vielleicht sagen mir diese Menschen dann, dass sie mit den Geschichten etwas anfangen können, dass sie sie ansprechen und sie vielleicht für ein paar Tage lang über die Bekümmernisse des Alltags hinweggebracht haben. Diese Hoffnung habe ich immer wieder, bei jedem Buch. Und wenn die Geschichten, die ich erzähle, auf Gegenliebe stoßen, bei vagen Menschen, bei Menschen mit kleinen Hoffnungen und großen Augen, dann bin ich froh. (DER STANDARD Printausgabe, 11.10.2008)