Jörg Haider war neben Bruno Kreisky zweifellos das größte politische Talent der Zweiten Republik. Solche Erfolge verdanken sich - zum Kummer ideologischer Gralshüter - nicht programmatischer Linientreue, sondern im Gegenteil einer Kombination mitunter widersprüchlicher Elemente, einer Persönlichkeit, die imstande ist, sachliche Antithesen im Atmosphärischen aufzulösen.

Kreisky schien die sozial-liberale Koalition zu symbolisieren, zu der man in der BRD schon zwei Parteien benötigte: Er war Brandt und Genscher in einer Person. Haiders Erfolg wiederum ließ sich für Bundesrepublikaner am besten so illustrieren: Das kommt davon, wenn Graf Lambsdorff mit Schönhuber ein Kind zeugt.

Es war die Kombination einer alt-etablierten bürgerlichen Partei mit einer neuen "rechtspopulistischen" Bewegung, die Haiders Erfolg zugrunde lag. Auf der einen Seite die Hoteliers und "Sterzgrafen", die Anwälte und Apotheker, die im lokalen Rahmen "Establishment" verkörpern; auf der anderen Seite die "Anti-Establishment"-Protestbewegung des "kleinen Mannes", der sich zuguterletzt auch noch von der Sozialdemokratie im Stich gelassen fühlt.

Oder, auf Italien umgelegt: Haider kombinierte das Muster der Alleanza Nazionale, mit ihrem Rückhalt im Zentrum und bei den Eliten, mit dem Potential der aufmüpfigen Peripherie, der Lega Nord.

Kreisky wie Haider kokettierten mit dem liberalen Element, das es in Österreich angeblich nicht gibt - und kultivierten Freundschaften mit den paar großen Kapitalisten, die es im Lande schon oder noch gibt. Sie deshalb gleich als Liberale zu bezeichnen, wäre dogmengeschichtlich vermessen; aber sie nahmen Anleihen aus dem Fundus des Liberalismus. Haider verband die Übernahme der Thatcher-Philosophie, von der Privatisierung bis zur Nato, mit nationaler Abgrenzung; Kreisky sein weltbürgerliches Image mit dem "closed shop" und der Organisationsdisziplin der Gewerkschaften, die Kreisky-Wähler produzierten, nicht weil sie so liberal waren, sondern weil abgestiftete Kleinbauern in die Verstaatlichte strömten.

Haiders brisante Verbindung aus "Insider-" und Außenseiterpositionen explodierte ihm nach Knittelfeld unter den Händen. Die Hälfte seiner Wähler gab 2002 "blaue Leihstimmen" für Wolfgang Schüssel ab. Das "dritte Lager" schien am Weg zurück zu der Nischenexistenz, die es vor 1986 eingenommen hatte. Doch Haiders Erbe erwies sich als zählebiger als angenommen. Vor Haider war die FPÖ nur in einem bestimmten Milieu (und bestimmten Regionen!) als Alternative überhaupt wahrgenommen worden. Haider hatte ihr einen flächendeckenden Bekanntheitsgrad verschafft. So wurde das "dritte Lager" für all seine Dummheiten nach 2002 vom Wähler bald eindrucksvoll amnestiert.

Dabei ist Haider im zweiten Anlauf gelungen, was sich 2005 noch als Rohrkrepierer erwies: Eine "Zwei-Firmen-Theorie": "Getrennt marschieren, vereint schlagen". Der Überraschungssieg des BZÖ erinnert frappant an Haiders ersten Erfolg 1986: Eine krisengeschüttelte Partei um die vier Prozent, die um ihren Einzug in den Nationalrat zittern muss, erreicht nach wenigen Wochen einer perfekten Kampagne ein Ergebnis von zehn Prozent. Nun hatte Haider immer wieder damit spekuliert, seine flexible Bewegung von der alten Lager-Partei abzukoppeln. In diesem Licht erscheint sein letzter Erfolg nahezu paradox: Denn seine BZÖ-Hochburgen spiegeln das alte freiheitliche Lager viel besser wider als die fast gleichförmig über das Bundesgebiet verteilten 18 % der FPÖ.

Für gerade einmal zwei Wochen schien die "Zwei-Firmen-Theorie" die gegebene Marschroute für die Zukunft darzustellen: Keine "Wiedervereinigung", sondern friedliche Koexistenz - und Zangenangriff auf die Konkurrenz: Das BZÖ lukriert ÖVP-Wähler, die FPÖ rollt die SPÖ auf. Haiders Tod stellt diese Strategie erneut infrage: Denn es würde nahezu übermenschlicher Fähigkeiten bedürfen, die BZÖ-Positionen außerhalb Kärntens ohne Haider zu konsolidieren. Damit ist eine Wiedervereinigung wieder in greifbare Nähe gerückt - ob sich die FPÖ jetzt großzügig zeigt und Wandel durch Annäherung praktiziert, oder ob sie auf das langsame Absterben des BZÖ setzt und darauf, dass ihr die reifen Früchte dann in den Schoß fallen.

Die "conventional wisdom" besagt, mit Haiders Tod sei eine Rechtskoalition noch weiter in die Ferne gerückt als zuvor. Das erscheint prima vista plausibel: Haider war ihr erklärter Befürworter; seine Partner bestenfalls lauwarme. Auf den zweiten Blick weist das Interessenskalkül zumal der ÖVP in eine ganz andere Richtung: Um die beim BZÖ zwischengelagerten schwarz-blauen Stimmen wieder an sich zu ziehen, ist eine Neuauflage der abgewählten Linkskoalition kaum der beste Weg. Die Situation verlangt mehr denn je nach einer "Umarmungsstrategie" Marke Schüssel. Und die Wirtschaftslage: Wem würden man bei unpopulären Maßnahmen wohl lieber durch eine Regierungsbeteiligung die Schneid abkaufen? Der ohnehin durch hunderterlei Rücksichten gefesselten SPÖ oder Straches feuriger FPÖ? (Lothar Höbelt/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.10.2008)