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Nur noch die Fassade glänzt, der Name Wachovia dürfte nach dem Notverkauf an Wells Fargo bald aus Charlotte verschwinden.

Foto: APA/EPA/Lane

Es muss weitergehen, lautet die Devise der Stadt.

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Säulen zieren die Eingänge der Häuser, in den Straßen blühen Rhododendren. Im alten Zentrum von Charlotte, der größten Stadt im US-Bundesstaat North Carolina, scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Doch das ist nur das eine Gesicht der Metropole. Sechs Meilen weiter südlich befindet sich eine Skyline, deren Modernität selbst für amerikanische Verhältnisse atemberaubend ist.

Bürgermeister Patrick McCrory sitzt in seinem Büro, das sich zwischen von Baustellen umwucherten Hochhäusern befindet. "Um Charlotte zu verstehen, müssen sie unseren Ehrgeiz verstehen", sagt er. "Wir sind die Wall Street des Südens, das bestgehütete Geheimnis der Nation!"

Seit 1990 hat Charlotte - benannt nach der Fürstin Charlotte von Mecklenburg, die im Jahr vor der Stadtgründung (1762) den britischen König Georg III. ehelichte - eine erstaunliche Entwicklung genommen. Die Stadt mauserte sich vom verschlafenen Südstaatennest zum zweitwichtigsten Bankenzentrum der USA.

Es sind lasche Akquisitionsgesetze, die die neue Blüte herbeigeführt haben. Insbesondere zwei Banken wussten den Marktvorteil zu nutzen: Wachovia stieg durch den Zusammenschluss mit First Union 2001 zum viertgrößten US-Kreditinstitut auf; die Bank of America brachte es sogar zum führenden Geldhaus der westlichen Hemisphäre.

Von der ungeheuren Präsenz dieser Giganten profitierte die ganze Stadt: Wachovia und Bank of America schufen nicht nur zehntausende Arbeitsplätze, sondern pumpten auch Milliarden von Dollar in die urbane Infrastruktur. Wenn die eine Bank der Handelskammer von Charlotte einen Scheck ausstellte, zog die andere nach; wo die eine ein Kulturzentrum sponserte, finanzierte die andere ein Museum.

Häuserpreise noch stabil

Charlotte wurde immer attraktiver. Nach und nach ließen sich auch andere Industrien dort nieder. In den Technologieparks am Stadtrand sind heute Computer-, Pharma- und Nanotechnologieunternehmen angesiedelt.

Von dem wirtschaftlichen Abschwung, der weiten Teilen der USA schon seit langem zusetzt, ist auf den ersten Blick in Charlotte immer noch nichts zu spüren. Selbst die Häuserpreise sind stabil geblieben.

Doch das war womöglich nur eine Galgenfrist. "Das Kind wird jetzt einen anderen Namen bekommen", sagt Bauarbeiter Todd Anderson lapidar und lässt den Blick in die Höhe gleiten. Dort wird gerade das letzte Stockwerk der neuen Firmenzentrale von Wachovia fertiggestellt.

Die Bank gehört zu den rezenten Opfern der Kreditkrise. Milliardenverluste und Kurssturz an der Börse besiegelten ihr Schicksal. Tom Dunn ist geschockt, wie schnell das Ende kam. Der 64-jährige Anwalt hat einen Großteil seiner Altersvorsorge in Wachovia-Aktien angelegt. "Die Hälfte meiner Ersparnisse hat sich in Luft aufgelöst", seufzt er.

Angst vor Entlassungen

Wachovia kann sich nun nur noch durch einen Notverkauf vor der Pleite retten. Der Westküstenkonkurrent Wells Fargo scheint interessiert, "Entlassungen sind programmiert", sagt die Headhunterin Cynthia Carlson. Ihre Agentur verzeichnete jüngst einen Zuwachs von 45 Prozent bei den eingereichten Lebensläufen.

Die Stimmung in Charlotte hat den Nullpunkt erreicht. Auf dem Platz vor den Wachovia-Gebäuden herrscht gespenstische Ruhe. Ein Banker, der anonym bleiben will, erzählt, dass die Royal Bank of Canada erst vor wenigen Tagen eine Filiale in der Gegend eröffnete. "Eigentlich sollten Fallschirmspringer auf das neue Gebäude herabsegeln", murmelt er, "aber das war natürlich nicht angebracht, Leute in diesen Zeiten auf Gebäuden herumspringen zu lassen."

Man weiß, worauf der Mann anspielt: auf die Große Depression der 30er-Jahre, wo sich so mancher verzweifelte US-Bürger aus dem Fenster seines Büros in den Tod stürzte.

Auch Brenda Bamsener, die als Analystin bei Wachovia arbeitet, ist mulmig zumute. "Bei uns wurde das Personal selten abgestraft", sinnt sie, "das hat viel zur guten Atmosphäre am Arbeitsplatz beigetragen, war rückblickend aber vielleicht ein Fehler." Tatsächlich trat Ken Thompson, der Vorstandschef von Wachovia, erst im Juni 2008 zurück, als sein Unternehmen schon tief in den Miesen steckte.

Hoffen auf nächsten Boom

Alle Hoffnungen in Charlotte richten sich nun auf die Bank of America. Der Wachovia-Rivale gehört zu den wenigen, die die Krise noch relativ gut meistern: Er hat sich bereiterklärt, den New Yorker Traditionsbroker Merrill Lynch zu schlucken.

Deals dieser Art sind es, die auch Patrick McCrory Hoffnung geben. Der Bürgermeister ist seit 1995 im Amt. Er hat vieles mitgemacht, den Zusammenbruch der New Economy, die Terroranschläge vom 11. September. Er weiß, wie schnell Träume zusammenbrechen können. Aber auch, wie schnell sich die Dinge mitunter wieder zum Besseren entwickeln. "Gerade jetzt wäre es falsch, stillzustehen", meint McCrory fast schon beschwörend.

Dann zeigt er mit dem Finger auf das Fenster. In Downtown Charlotte gibt es derzeit 28 Baustellen. Die Bagger schaufeln weiter. Die Wall Street des Südens, scheint es, wappnet sich schon für den nächsten Boom. (Beatrice Uerlings aus Charlotte, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.10.2008)