Sehr geehrte Koalitionäre! Sie haben sich nun, nachdem die Sache mit der neuen großen Koalition künstlich ein bisschen in die Länge gezogen wurde, doch entschlossen, hochoffiziell miteinander Koalitionsgespräche führen zu wollen. Dabei ist ja bekannt, dass Wunsch und Wille bei Ihnen, Herr Faymann und Herr Pröll, Rot-Schwarz heißen.

Aber ein Hindernis steht besonders im Weg, wenn Sie Ihre eigenen Ansagen auch ernst nehmen. Das Zwei-Buchstaben-Problem EU. Genauer, das in einem Leserbrief kundgetane Wahlversprechen der SPÖ, "dass zukünftige Vertragsänderungen, die die österreichischen Interessen berühren, durch eine Volksabstimmung in Österreich entschieden werden sollen" . Für die ÖVP war das ein Anlass, die alte Koalition zu sprengen. Jetzt wird dieser Nachlass zum Stolperstein.

Dabei sollte Ihnen eines klar sein: Ein Land mit einer geostrategischen Position wie Österreich, ein ressourcenarmer Kleinstaat, der von der EU in einem Ausmaß profitiert hat, das vielen nicht bewusst ist, kann sich nicht von Europa abkoppeln durch die Festschreibung einer unsinnigen, im Kern nur populistischen Maßnahme. Wenn Europa als Gemeinschaft europäischer Bürger endlich auch im Bewusstsein etabliert werden soll, dann kann es über EU-Themen nur Volksabstimmungen aller EU-Bürger geben, aber nicht in einzelnen Ländern. Das würde Europa paralysieren.
So etwas kann man in einen Leserbrief schreiben, aber nicht in einen Koalitionsvertrag. Sie erinnern sich bestimmt: Es war einmal eine Regierung, die brauchte eine Präambel, um sich zu rechtfertigen. Vielleicht bilden Sie ja die erste, die einen erklärenden Leserbrief braucht. (Lisa Nimmervoll/DER STANDARD-Printausgabe, 15. Oktober 2008)