Probiotische Spezies, die in der Medizin Anwendung findet: Escherichia coli (E. coli) Nissle 1917 im Elektronenmikroskop (Vergrößerung 1:10.000)

Foto: Emonta

Mit Bakterien besiedelte Darmwand

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Petrischale mit Bakterien

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Probiotika sind nicht gleich Probiotika. Der Unterschied zwischen medizinisch verwendeten und jenen, die in der Nahrungsmittelindustrie für die Joghurtherstellung verwendet werden, ist schon in der Definition groß: "Die Probiotika, die wir medizinisch einsetzen, sind wissenschaftlich exakt definiert, während jene, die in Lebensmitteln verwendet werden, teilweise Fantasienamen haben, die von der Firma aus Werbegründen erfunden wurden", erklärt Peter Knoflach vom AKH Wels und Vorstandsmitglied in der Österreichischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie.

Wirkung beruht auf Theorie

Die Hersteller müssen auch gar keinen Wirkungsnachweis erbringen, weil probiotische Lebensmittel nur zur Verbesserung des "Wohlbefindens" beworben werden dürfen. Für die Probiotika, die als Medikamente eingesetzt werden, gelten hingegen strenge Wirkungsnachweise, wie für andere Medikamente auch - festgelegt ist das im Arzneimittelgesetz. "Die Wirkung von probiotischen Lebensmitteln beruht auf Theorien, die gar nicht oder nur mäßig wissenschaftlich bewiesen sind - das ist eine große Grauzone", so Knoflach.

Wissenschaftlich gut belegte Wirkungen

Klare Indikationen gibt es hingegen für medizinische Probiotika: Eine gesicherte Wirkung gibt es für den Einsatz beim Reizdarmsyndrom und entzündlichen Darmerkrankungen wie Colitis Ulcerosa. "Mit Probiotika kann man eine so genannte Remissionserhaltung erzielen, eine neue deutsche Studie bestätig das", weiß Knoflach und meint damit, dass der Zustand einer ruhenden Entzündung damit aufrechterhalten werden kann. Die Patienten haben weniger Schmerzen, Fieber und Durchfall. Der gute Keim heißt in diesem Fall E. Coli Nissl 1917, der im ersten Weltkrieg von zwei Kriegsheimkehrern gewonnen und dann kultiviert wurde.

Positive Untersuchungen gibt es auch für die Verhinderung oder Erzielung eines leichteren Verlaufs einer Reisediarrhoe (Reisedurchfall). Die Daten dazu seien allerdings schwach, weil die Erkrankung üblicherweise von selbst zu Ende geht.

Verschiedene Stämme

"Es gibt auch Probiotika, bei denen Studien negative Ergebnisse zeigen - nicht nur, dass sie gar nicht wirken, sondern den Krankheitsverlauf ungünstig beeinflussten", warnt Knoflach. Er spricht damit eine niederländische Studie an, die heuer für Aufsehen unter Medizinern gesorgt hat.

Patienten mit schwerer Bauchspeichelentzündung (Pankreatitis) erhielten über eine Sonde probibiotische Kulturen in den oberen Dünndarm. In der Probiotika-Gruppe starben wesentlich mehr Patienten als in der Gruppe, die mit einem Scheinmedikament behandelt wurde. Die Studie musste sogar abgebrochen werden. Das Studienergebnis widersprach allen Erwartungen und zeigt, dass Probiotika differenziert gesehen werden müssen und Keim nicht gleich Keim ist.

Unterschiedliche Ergebnisse bei Joghurts

Die Werbung verspricht die Steigerung der Immunabwehr, eine cholesterinsenkende Wirkung oder die Förderung der Verdauung durch probiotische Joghurts. Es gibt aber zu wenige Daten für einen Nachweis, denn häufig sind die Studien nicht randomisiert und wurden mit zu wenigen Probanden durchgeführt. "Zu messen, ob diese Präparate immunologisch etwas im Darm bewirken, wäre extrem aufwändig", so Knoflach. Hinweise für eine Wirksamkeit von probiotischen Joghurts gibt es allerdings bei Durchfall, der im Zuge einer längeren Antibiotikaeinnahme auftritt. Doch kann in diesem Fall auch ein ganz normaler handelüblicher Joghurt Gutes tun.

"Eine andere Untersuchung hat wiederum gezeigt, dass ein Joghurt mit einer Mischung aus verschiedenen Milchsäurestämmen, der bei Reizdarmpatienten getestet wurde, zwar die subjektive Lebensqualität der Patienten verbessert hat, aber es zeigte sich kein signifikanter Unterschied bei den tatsächlich messbaren Beschwerden wie Bauchschmerzen", erklärt Knoflach.

Großer Forschungsbedarf

Tatsache ist, dass Probitika noch viel besser erforscht werden müssen. Knoflach schränkt aber überzogene Hoffnungen ein: "Wir werden uns nie von Probiotika als Medikamente - und als Joghurt schon gar nicht - Wirkungen wie von einem potenten Arzneimittel wie einem Antibiotikum oder Cortison erwarten dürfen". (Marietta Türk, derStandard.at, 12.1.2009)