Ungarn im Zeichen der Wiedergeburt der „christlich-nationalen" Idee.

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Die Medien berichten ausführlich über die außerordentlichen wirtschaftlichen Probleme unseres Nachbarlandes. Weniger wird berichtet über die herrschende politische Kultur Ungarns, in der Antisemitismus wieder einmal in die Mitte der Gesellschaft rückt.

Grenzenlos war der Optimismus der ungarischen politischen Elite, als sie nach der Wende jeden Vorschlag, ein Verbotsgesetz einzuführen, ablehnte. Und so marschieren wöchentlich schwarz uniformierte Milizen durch die Straßen und dürfen gelegentlich auch Neonazi vor einer Synagoge Juden provozieren. Die seit 2002 regierenden Linken sehen tatenlos zu und die Justiz behandelt die Gesetzesbrecher, die zuweilen auch Gewalt anwenden, mit äußerster Milde.
Die konservative Rechte, die im Verbund der europäischen Volksparteien befindliche Fidesz wiederum verbündet sich bei Lokalwahlen mit der rechtsextremen Jobbik-Partei, deren Geschöpf auch die berüchtigte „Ungarische Garde" ist.

Der Vizepräsident des Ungarischen Parlaments Sándor Lezsák (Fidesz) sprach Anfang Oktober bei der Enthüllung einer weiteren Statue von Bischof Ottokár Prohászka und nahm ihn in Schutz gegen den „geistigen Terror", der angeblich in Ungarn herrscht, hat doch der Befürworter der Diskriminierung der Juden Prohászka, einer der führenden Ideologen des „christlich-nationalen" Kurses in Ungarn der Zwischenkriegszeit nur „die kosmopolitisch-parasitäre Schicht" zurückdrängen wollen. So einer der höchsten Würdenträger Ungarns.

1944 wurden binnen sechs Wochen die von den „christlich-nationalen" Propagandisten über 25 Jahren als heimatlos und parasitär diffamierten Juden, ungefähr eine halbe Million ungarische Staatsbürger, nach der deutschen Besetzung von ungarischen Gendarmen in die Waggons getrieben und den Nazis zur Vernichtung übergeben. Nur wenige kamen zurück. Trotzdem und vielleicht gerade deswegen geht 64 Jahre danach die antisemitische Propaganda von der angeblichen jüdischen Weltverschwörung, die auch vom bekannten Fidesz-nahen Publizisten Zsolt Bayer betrieben wird, ungezügelt weiter. Kaum hat der liberale (SZDSZ-) Mandatar Péter Gusztos den Skandal um die Statuenenthüllung im Parlament zur Sprache gebracht, bricht im konservativen Lager ein Sturm der Entrüstung aus und wird Gusztos aufgefordert, sich zu entschuldigen.
Schmerzhaft, dass trotz aller Erklärungen des Vatikans auch der katholische Erzbischof Balázs Bábel bei der Enthüllung das Wort ergreift und Öl ins Feuer gießt. Er wird - so sagt er - solange nicht das Holocaust-Museum in Budapest besuchen, bis nicht das Bild von Prohászka aus der Nähe des Bildes von Adolf Hitler gebracht wird und bis nicht der Bildtext entfernt wird, dass Prohászka eine „führende Persönlichkeit der antisemitischen Ideologie" war. Freilich war Prohászka kein Schüler von Hitler, er hat rassistischen Antisemitismus bereits vor Hitler propagiert.

Doch der Erzbischof erklärte bei dieser Gelegenheit auch, dass er selbst Zeuge war, wie 1945 Kommunisten die Statue Prohászkas im Budapester Károlyi Park zerstört hätten. Die Statue wurde zwar erst ein oder zwei Jahre später von einem sozialdemokratischen Dichter und seinen Genossen zerstört, aber es müsste ein wirkliches Wunder gegeben haben, wenn der 1950 geborene Erzbischof Bábel das gesehen haben will. - Es ist ein Zeichen einer tiefen gesellschaftlichen Krise, wenn die Rechten glauben, mit den schon nach dem Ersten Weltkrieg untauglichen Mitteln - Antisemitismus verbunden mit sozialer Demagogie - die wirklich schweren Probleme Ungarns lösen zu können und die Linken dem hilflos gegenüberstehen. (Karl Pfeifer, DER STANDARD, Printausgabe, 24.10.2008)