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Eine Leerstelle anzuzeigen schlägt sich in ihr dialektisches Gegenteil um, die Leerstelle verweist so auf Vorhandenes, so Gudrun Perko.

Foto: Reuters / Peter MACDIARMID

Geschlechtergerechte Sprache ist längst nicht mehr nur in explizit feministischen Kontexten vorzufinden. Immer mehr SprecherInnen besinnen sich darauf, den Vorstellungshorizont, wer was wann und wo macht, auf Männer und Frauen gleichermaßen auszuweiten und traditionelle Rollenbilder somit aufzuweichen - "mitmeinen" gilt nicht mehr. Ganz ist es aber mit der Verwendung der bereits gängigen geschlechtergerechten Varianten (Binnen I, Querstrich usw.) nicht getan, denn alle fühlen sich mit "er" oder "sie" nicht repräsentiert.

Vielfalt

Deshalb gibt es auch eine noch relativ unbekannte Schreibvariante, die über die Vermeidung der einseitigen Verwendung des Maskulinums oder des Femininums hinausgehen möchte. Die Idee dazu hatte Steffen Kitty Hermann, auf die er in seinem Text "Performing the Gap - Queere Gestalten und geschlechtlicher Aneignung" näher eingeht. Geschrieben kann der "Gap" werden, indem zwischen der männlichen und der weiblichen Form eine Leerstelle eingefügt wird, die mit einem Unterstrich markiert wird: Freund_in, Leser_in, Lieberhaber_in usw. Was oder wem wird mit dem "Gap" hier Platz gemacht? 

"Wir könnten uns das so vorstellen: eine Leerstelle anzuzeigen schlägt sich in ihr dialektisches Gegenteil um, die Leerstelle verweist so auf Vorhandenes. Im Sinne der Unterstrichvariante auf Menschen, die gesellschaftlich und strukturell unsichtbar gemacht werden", erklärt Queer-Theoretikerin und Philosophin Gudrun Perko gegenüber dieStandard.at. In der Unterstrichvariante geht es somit um das Auf- und Anzeigen der Unsichtbarkeit und gleichzeitig auch um einen Platz für Transgender, Transsexuelle, Intersexuelle, Lesben, Schwule, Drags u.v.m, so Perko. Sie sieht die Notwendigkeit einer neuen Sprachform in der Forderung und dem Ziel, die Vielfalt von Menschen anzuerkennen, "sowohl in Hinblick auf verschiedene Genderformen, verschiedene Formen von Sex, verschiedenen Begehrensstrukturen als auch auf 'andere Kategorien', über die Menschen sich definieren (und auch definiert werden) wie Alter, Klasse, Hautfarbe, kulturelle Herkünfte, Ability u.v.m.". Perko ist sich sicher, dass es neue sprachliche Formen braucht, damit sich das altbekannte "mitmeinen" nicht wieder in veränderter Form wie "Ich schreibe in weiblicher und männlicher Form, meine aber alle anderen Menschen mit" fortsetzt.

Diskriminierende Ableitungen

Luise F. Pusch, Verfasserin mehrerer Klassiker rund um geschlechtergerechte Sprache
(z.B. "Das Deutsche als Männersprache: Aufsätze und Glossen zur feministischen Linguistik") findet den Unterstrich zwar interessant, zeigt sich gegenüber dieStandard.at aber nicht ganz überzeugt. "Er erinnert ja sehr an den Aufbau von Email-Adressen. Besser als der Schrägstrich (Leser/innen) ist er allemal, aber nicht so gut wie das große I in der Mitte, das auf schlaue Weise eine feminine Lesart suggeriert, die trotzdem auch für Männer akzeptabel sein sollte, da sie sich ja von der rein femininen Form 'Leserinnen' graphisch deutlich unterscheidet." Die Idee des Unterstriches, als Leerstelle Raum für Menschen zu schaffen, die sich geschlechtsmäßig nicht festlegen wollen oder können, findet sie im Ansatz gut, "die Lösung scheint mir jedoch nicht überzeugend." Pusch spricht sich hingegen für ein konsequentes Hinarbeiten auf neutrale Formen aus, ähnlich dem "the" im Englischen. Sie plädiert für "eine rigorose Abschaffung der im Kern diskriminierenden Ableitungen 'nebensächlicher' Formen aus den 'Hauptformen'. Alle Geschlechter einschließlich der nicht Festgelegten haben Anspruch auf die Grundform und sollten nicht mit irgendwelchen Wurmfortsatzbildungen in Ecken abgeschoben werden", so Pusch.

Wie Sprechen?

Kann der Unterstrich ausgesprochen werden? Oder ist die (Un)Möglichkeit der Aussprache des Gap ein Handicap für seine Verbreitung? 

Schlechtere Voraussetzungen für die Möglichkeiten des Aussprechens der Unterstrichvariante gegenüber anderen geschlechterneutralen Formen sieht die Linguistin Karin Wetschanow nicht. Probleme mit der Aussprache seien auch beim Binnen I konstatiert worden, so Wetschanow auf Nachfrage von dieStandard.at, dennoch sieht sie Unterschiede zwischen Sprechen und/oder Schreiben in den verschiedenen Kontexten. Die Aussprache von geschlechtergerechten Formen sei nicht in allen Situationen gleichermaßen praktikabel, "wenn wir beispielsweise informell plaudern, dann denken wir in der Regel auch nicht an eingelernte oder einzulernende Sprachreglements, das ist für mich auch der Bereich, in dem ich nicht reglementieren möchte - ich finde eine geschlechterneutrale Regelung in Gesetzestexten und öffentlichen Schreiben oder vorbereiteten/öffentlichen Reden wichtig", so die Linguistin.

Letztlich sei es aber in den Anfängen des geschlechtergerechten Sprachgebrauchs schon auch darum gegangen, dass geschlechtergerechte Sprache auch in andere Bereiche vordringt, was für Wetschanow ein Zeichen ist, "dass diese sprachpolitischen Maßnahmen vom Geist einer breiten Basis getragen wurden und daher in der Folge auch das Große I als Glottisverschluss [Anm.: kurze Pause vor dem großen I] seinen Weg vom Papier in die gesprochene Sprache gefunden hat. Eben weil es gesprochen werden wollte, wurden dann auch Wege gefunden."

Dass der _ nicht sprechbar sei, ist auch für Persson Perry Baumgartinger, der rund um transinterqueere Räume, Theorien und Praxen arbeitet, kein Argument. Mündlich kann der Gap "mit dem Glottisverschluss (einer kurze Pause zwischen der männlichen und weiblichen Variante) und mit einer gleichzeitigen Handbewegung von außen nach innen realisiert werden", so Baumgartinger in einem Artikel in "Liminalis - Zeitschrift für geschlechtliche Emanzipation", in dem er aber auch auf die Grenzen dieser Möglichkeiten für seheingeschränkte und blinde Menschen verweist. Baumgartinger macht auch auf eine wesentliche Kritik am Gap aufmerksam, nämlich, dass damit "dem Zweiersystem Mann/Frau viel Raum und einer unermesslichen Vielfalt an Geschlechtlichkeiten nur ein kleiner Raum, ein _, zugewiesen wird."

Kleiner feiner Kreis?

Der Gap wird aber derzeit noch hauptsächlich geschrieben, und hier wiederum vorwiegend innerhalb queerer, feministischer oder universitärer Zusammenhänge. Das verwundert nicht weiter, wenn Plädoyers für den Gap mit der Kritik der "Leugnung eines Außerhalb der binären Geschlechterordnung" formuliert werden oder damit, dass es beim Gap um einen Ort gehe, "den es zu erforschen gilt", wie etwa Steffen Kitty Herrmann betont.
Hingegen scheint für die Allgemeinheit die Forderung, Frauen durch die Verwendung des Femininums sichtbar zu machen, unweit einfacher vermittelbar zu sein. Der _, eine akademische Angelegenheit also?


Perko sieht die Benennung von in öffentlichen Diskursen unsichtbar gemachten Menschen, die sich weder als Mann oder Frau deklarieren (wollen), nicht nur in dieser eingeschränkten Weise. "Wenn es bislang nicht in alle Bereiche gedrungen ist, so ist das für mich eine Frage der Vermittlung. Und da würde ich doch meinen, sie ist in Gang gesetzt. Auch Queer-Theory wurde zunächst in wissenschaftlichen Kontexten diskutiert. Mittlerweile sind es schon sehr viele andere Bereiche, in denen diese Theorien, aber auch Begriffe wie Queer, Transgender, Intersexuell etc. bekannt sind. Im Sinne der Vermittlung gibt es allerdings noch sehr viel zu tun."

Für Wetschanow ist denkbar, dass die Verbreitung des Gap sogar leichter sein könnte als die des Binnen I, da der Gap die Konnotation der Vielfältigkeit zulässt, "während es beim geschlechtergerechten Sprachgebrauch "paradoxerweise immer wieder vorkommt, dass sich 'die Männer' benachteiligt und ausgeschlossen fühlen."

Dieselbe (Gegen)Argumentation

Der _ mag zwar eine neue Form sein, die Argumentationslinien - egal ob dafür oder dagegen - werden sich aber im Wesentlichen wiederholen. Die Forderungen nach Sichtbarkeit werden einmal mehr auf Einwände wie "umständlich, ästhetisch nicht vertretbar, verwirrend, eingeschränkt auf bestimmte soziale Bereiche" usw. treffen. 

Die gesellschaftspolitische Haltung, Sprechen und Sprache als politische Handlung zu verstehen, werden jene, die für die Verwendung des Gaps plädieren ebenso wenig überall vorfinden, wie VerfechterInnen anderer geschlechterneutraler Sprachformen. 

Für eine Verbreitung der bevorzugten Variante ist somit schlichtweg die Anwendung der einzige Weg. "Ich verwende die Unterstrich-Variante mündlich und schriftlich, auch wenn ich manchmal damit anecke, was manchmal auch bedeutet, dass es zu redaktionellen Veränderungen in manchen meiner Artikel kommt", so Gudrun Perko. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 26.10.2008)