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Wie gefährlich sind "schlagende Verbindungen"? - Transparent bei einer Anti-Burschenschafter-Demonstration in Hannover.

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Als Simon Wiesenthal von der Politologin Melanie Sully gefragt wurde, ob schlagende Burschenschaften gefährlich seien, gab er folgende Antwort: "Ich denke nicht. Für die Linken sind sie es, denn für sie ist jeder Nichtlinke eine Gefahr."

Was in der meist hitzig geführten Diskussion über rechte und weit rechte politische Gesinnung leicht als Beitrag zur Verharmlosung aufgefasst werden kann, ist in Wahrheit eine Aufforderung zur Differenzierung: Es gibt Burschenschaften, es gibt schlagende Burschenschaften, und es gibt in ihrem ideologischen Profil problematische schlagende Burschenschaften. Die Geschichte der Burschenschaften kennt selbst deutschnationale schlagende jüdische Verbindungen - ebenso wie deren zionistisches Pendant. Angesichts der historischen Bedeutung der Burschenschaften für die Durchsetzung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wäre ein Burschenschafter als Dritter Nationalrationspräsident eine stimmige Wahl. Die aus heutiger Sicht skurrile Folklore sollte uns ebenso wenig von der Bestellung eines FPÖ-Mandatars abhalten wie die betont konservative und deutschnationale Gesinnung, der sich so gut wie alle Burschenschaften verpflichtet fühlen. Auch eine kritische Haltung zum Verbotsgesetz taugt nicht als Argument - in anderen politischen Kontexten sind es dezidiert Liberale, die solche Zweifel äußern.

Anders liegt der Fall allerdings, wenn die betreffende Verbindung der Gruppe der ideologisch problematischen Burschenschaften angehört. Die "Olympia" wird vom DÖW als rechtsextrem eingestuft. Ihre Mitglieder freilich sehen das anders, doch selbst auf eine Distanzierung von Olympen mit geschlossen rechtsextremer Gesinnung wie Norbert Burger wird man vergeblich warten. Soeben (22. 10.) ist in der Wiener Bezirkszeitung ein Interview mit Dietbert Kowarik, FP-Gemeinderat, Abgeordneter zum Wiener Landtag und Olympe wie Graf, erschienen. Am Ende des Gesprächs kommen die Interviewer auch auf das leidige Thema "Olympia" zu sprechen: Es hat 2003 einen Auftritt des Liedermachers Michael Müller gegeben, der Lieder vorträgt, wie "Mit sechs Millionen Juden, da fängt der Spaß erst an, mit sechs Millionen Juden, da ist der Ofen an". Wie stehen Sie dazu, dass solche Menschen bei der "Olympia" auftreten dürfen? Kowariks Antwort: Man darf nicht mit zweierlei Maß messen. Wir laden aus allen möglichen politischen Spektren Menschen ein. Es ist diese "olympische" Unfähigkeit zur kritischen Distanz, die die Mitglieder der Burschenschaft zum Problem werden lässt.

Die Ämter der drei Nationalratspräsidenten zählen zu den protokollarisch höchsten Ämtern der Republik. Als Kollegium vertreten sie den Bundespräsidenten und ersetzen ihn im Fall von dauerhafter Verhinderung oder Tod. Gerade weil wir beim schwierigen Extremismusthema eine trennscharfe politische Debatte brauchen, wäre es ratsam, an einer gut sichtbaren Stelle einen solchen Trennstrich zu ziehen. Dafür scheint mir die Wahl des Dritten Nationalratspräsidenten ein geeigneter Anlass. Martin Graf mag ein tadelloser Demokrat sein, und er kann sein Wissen und seine politischen Talente jederzeit in parlamentarischen Ausschüssen einbringen. In einem der höchsten Ämter der Republik aber wünsche ich mir einen Mandatar mit einem ideologisch weniger problematischen Hintergrund. Wenn Graf am burschenschaftlichen Lebensbund-Prinzip festhalten will - und das ist sein gutes Recht -, sollten sich die Vertreter der anderen Parteien die Wahl eines alternativen Kandidaten überlegen. Das sogenannte "Vorschlagsrecht" der drittstärksten politischen Kraft ist bloß eine politische Usance; das Parlament hat hier ebenso freie Hand wie der Bundespräsident bei der Erteilung des Regierungsauftrags.

Die ÖVP hat im Jahr 2000 gute Gründe dafür gesehen, mit der Tradition der Berufung eines Kanzlers aus der stimmenstärksten Partei zu brechen. Es sollte möglich sein, auch diesmal zu einer flexibleren Haltung zu finden. (DER STANDARD; Printausgabe, 28.10.2008)