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John Baranski lehrt Geschichte am Fort Lewis College in Durango, Colorado (Schwerpunkte USA und Sozialgeschichte). Er hilft als  ehrenamtlicher Mitarbeiter bei syndikalistischen Projekten und kämpft für die Rechte von ImmigrantInnen. 

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Wien - "Wenig Hoffnung, trübe Aussichten" - so skizziert Universitätsprofessor John Baranski die Präsidentschaftswahlen 2008. Denn für die Probleme der Arbeiter und Angestellten hätten die beiden Spitzenkandidaten Barack Obama und John McCain wenig über, wie das umstrittene 700-Milliarden-Dollar-Gesetz gezeigt habe. Im Interview mit Christa Hager spricht Baranski über Gewerkschaften, Alternativen zu Republikanern und Demokraten, Nichtwähler sowie über seine Befürchtung, dass die Wahlen wieder manipuliert werden könnten.

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derStandard.at: "Die Wirtschaft" ist eines der Hauptthemen im Wahlkampf. Inwieweit werden dabei Probleme der ArbeitnehmerInnen berücksichtigt?

John Baranski: Für Obama und McCain sind Fragen des Arbeitsrechts und der Arbeitswelt kaum relevant. Beide betonen immer wieder, dass sie die Kaufkraft stärken und die Angebotspalette ausweiten wollen . Das war’s dann im Großen und Ganzen schon. Es zeigt sich immer wieder, dass sowohl Demokraten als auch Republikaner eine unternehmensorientierte Politik betreiben.

derStandard.at: Woran?

Baranski: Im Gesundheitswesen zum Beispiel. Es grenzt nach wie vor viele Menschen aus, mit schrecklichen Konsequenzen. Und am Mindestlohn, der wegen der Inflation seit den vergangen 40 Jahren kontinuierlich sinkt. Und auch in der Außenpolitik - beide befürworten Krieg: Obama will den Einsatz in Afghanistan ausweiten und McCain ist durchaus auch ein Angriff auf den Iran zuzutrauen. Kriege sind für die Arbeiter aller Länder immer schlechte Nachrichten.

derStandard.at: Und die Gewerkschaften stehen geschlossen hinter Obama?

Baranski: Ja, jedenfalls die Vorsitzenden der beiden großen Gewerkschaftsföderationen Change to Win und AFL-CIO. In einigen Teilen des Landes arbeiten die beiden auch zusammen, weil sie sich von seinem Wahlsieg mehr politische Unterstützung erhoffen.

Seit langem schon kaufen sich die Gewerkschaften bei den Parteien ein, - zum Beispiel mit den Mitgliedsbeiträgen - um die Interessensphären sicherzustellen. In der Vergangenheit betraf dies die beiden Großparteien, mittlerweile geht das Geld von den Gewerkschaftsföderationen zu 80, 90 Prozent zu den Demokraten.

derStandard.at: Ist der unabhängige Ralph Nader eine Option für die Werktätigen?

Baranski: Nicht nur Nader, auch die Kandidatin der Grünen, Cynthia McKinney. Wobei besonders Nader schon lange die Arbeiter und Arbeiterrechte unterstützt. Er fordert zum Beispiel wirtschaftliche Absicherung, Zugang zum Gesundheitswesen für alle, oder das Ende des Taft-Hartley-Gesetzes (gewerkschaftsfeindliches Gesetz der 1940er Jahre, Anm. d.Red.).

Das Problem ist allerdings, dass diese Parteien zu klein sind, um ihren Widerstand an dieser Politik formal auszudrücken. Vor rund hundert Jahren war das anders, als es in den USA gerade für ArbeiterInnen und Bauern eine lebendige Parteilandschaft gab. Aber heute tun weder die Demokraten noch die Republikaner etwas für diese Menschen. Und was alle Kandidaten eint: keiner hinterfragt das Ungleichgewicht in unseren Firmen - wo die Bosse über die Werktätigen herrschen wie die Könige über Leibeigene.

derStandard.at: Anhänger Obamas betonten immer wieder, eine Stimme für Nader sei eine verlorene Stimme.

Baranski: Keine Stimme ist verloren, sofern sie korrekt ausgezählt wird. Sie wird Teil der Geschichte. So kann sie weiterführende Analysen beeinflussen und damit verbunden die Parteipolitik. Oder den Weg, den die öffentliche Meinung einschlägt.

derStandard.at: Was ist mit den Nichtwählern? Spielen sie im politischen Diskurs eine Rolle?

Baranski: Es gibt unterschiedliche Gründe, warum Erwachsene nicht wählen gehen. Manche dürfen nicht, weil sie in der Vergangenheit einen Fehler gemacht haben. Andere können am Wahltag nicht wählen, zum Beispiel weil es bei der Registrierung einen Fehler gab. Und andere wiederum haben den Glauben in die politische Klasse und die politische Führung verloren. Viele würden diese Wahlen mit "wenig Hoffnung, trübe Aussichten" umschreiben.

Im Großen und Ganzen spielen die Nichtwähler keine bedeutende Rolle im politischen Diskurs, weil weder die Demokraten noch die Republikaner eine politisch engagierte und mobilisierte Bürgerschaft wünschen. Das 700-Milliarden-Dollar-Gesetz zeigt dies deutlich – viele Menschen haben versucht, mit ihren politischen Vertretern darüber zu sprechen, sie umzustimmen. Doch sie wurden nicht beachtet.

derStandard.at: Wie wirkt sich das 700-Milliarden-Dollar-Gesetz auf das Wahlverhalten aus?

Baranski: Er ist ein verhasstes Gesetz, das die WählerInnen aufgerüttelt hat. Das erste Mal seit Jahrzehnten haben sich viele Menschen bei ihren Regierungsvertretern gemeldet. Das Repräsentantenhaus sperrte deswegen sogar seine Website. Demokraten wie Republikaner stellten sich aber gegen die Interessen ihrer WählerInnen und verbreiteten Angst unter den Menschen. Als ob es das Ende der Welt wäre, wenn man den Banken kein Geld gibt.

derStandard.at: Haben Obama und McCain noch andere Vorschläge, wie man das "Wohnungsproblem" lösen könnte?

Baranski (lacht): Offenbar nicht. Was hier passiert ist skandalös. Demokraten wie Republikaner unterstützen den Transfer des Reichtums von unten nach oben. Die Milliarden werden nicht dafür verwendet, um zum Beispiel leistbare Sozialwohnungen zur Verfügung zu stellen. Denn die Menschen verlieren, wie während der Depression in den 1930ern, ihre Häuser und Wohnungen. Viele werden obdachlos. Der Unterschied zur Vergangenheit besteht darin, dass in den 1930ern die Demokraten nach enormem Druck der Radikalen und der Gewerkschaften Sozialwohnungen bauen ließen und damit einen gewissen Lebensstandard garantierten. Davon ist heute nichts zu sehen.

derStandard.at: George W. Bush hat in seinen Wahlkampagnen immer wieder den "Elitismus" und "Intellektualismus" seiner demokratischen Widersacher John Kerry und Al Gore kritisiert und sich so als Kandidat des "kleinen Mannes" präsentiert. Setzt McCain diese Strategie fort?

Baranski: Durchaus. Wenn die Republikaner die Demokraten als elitär denunzieren, so glauben das auch jetzt wieder viele. Die Republikaner geben sich als Freunde des kleinen Mannes – des Joe Plumber, wie er heutzutage genannt wird. Nicht nur McCain, auch Sarah Palin ist ein gutes Beispiel dafür.

Die Demokraten sind zwar sicherlich gelehrter und gebildeter als die Republikaner. Was aber noch lange nicht heißt, dass ihre Politik so anders wäre.

derStandard.at: Obama spielt stark mit der Symbolik der Familie. Er beruft sich oft auf seine weiße Großmutter, die enormen Einfluss auf ihn ausgeübt habe. Viele Afro-Amerikaner sehen in Obama deswegen einen Verräter und nennen ihn einen "Weißen". Ist das korrekt?

Baranski: Nein. Obama und seine Familie sind schwarz. Aus einem ganz einfachen Grund: weil wir in einer rassistischen Gesellschaft leben. Daran ändert auch Obamas ideologischer Rahmen nichts, durch den er ganz auf einer Linie mit der dominanten Gruppe ist: d.h. kapitalistisch, patriarchalisch, hierarchisch, gegen Arme und Arbeiter. Doch eines hat Obamas Symbolik ganz sicher geschafft: sie hat zur ethnischen Konstruktion seiner Person beigetragen.

derStandard.at: Angesichts des ansteigenden Rassismus gegen Obama, wie zum Beispiel auf FoxNews oder in rechten Blogs: Ist eine Stimme für Obama nicht auch eine Stimme gegen Rassismus und Chauvinismus?

Baranski: Nicht wirklich. Bevor man meint, man könne mit seiner Stimme bei den Wahlen etwas gegen Rassismus unternehmen, sollte man besser im Alltag mit Anti-Rassismus-Arbeit beginnen, bei der Familie, bei Freunden, Kollegen, usw. Bis die Mächtigen den Druck von unten spüren und so ihre Politik und ihr Verhalten ändern. Anders wird sich der rassistische Status-Quo in diesem Land nicht ändern.

derStandard.at: Wer wird nächster Präsident?

Baranski: Obama könnte die Mehrheit der Stimmen bekommen. Was bei weitem nicht heißt, dass er damit auch Präsident wird. Nicht nur wegen des Wahlsystems. Denn bereits 2000 und 2004 haben wir ja gesehen, wie leicht es ist, das Ergebnis "zurechtzubiegen". Die Wahlcomputer sind leicht zu manipulieren, und man braucht das ja nur in ein paar Bezirken zu tun.

Das alles mag paranoid klingen. Doch die an der Macht wollen ihre Position nicht aufgeben. Da steht zu viel auf dem Spiel. Eigentlich sollte die UNO die Wahlen beobachten. Doch dafür ist es mittlerweile zu spät. (Christa Hager, derStandard.at, 30. Oktober 2008)