Casiotone For The Painfully Alone: "Town Topic"
Dass Owen Ashworths neustes Mini-Meisterwerk als "EP" läuft, scheint sich mit einer Tracklist zu beißen, die nicht weniger als 15 Positionen lang ist. Tatsächlich dauert "Town Topic" nicht länger als 22 Minuten: Unter den mehrheitlich instrumentalen Tracks finden sich nämlich auch einige Superkurzstücke, die als "Ringtone" deklariert werden. Sparflammen-Elektronik überwiegt, nur das Titelstück wird von Jason Quevers Gast-Gitarrenspiel ins Countryeske überführt. Highlights sind die beiden Songs "Green Cotton Sweater" (eine Textil-Übergabe wird zum symbolischen Beziehungs-Aus) und ganz besonders das fröhlich klingelnde "Ice Cream Truck", in dem ebendieser im Pillenrausch entführt wird und einem bösen Ende entgegen steuert. Einmal mehr erweist sich Owen Ashworth damit als Meister des kleinformatigen Dramas. (Tomlab/Trost)

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Casiotone For The Painfully Alone

Coverfoto: Tomlab

Pelle Carlberg: "The Lilac Time"
Hochmelodisch und mit viel Shingaling startet mein singender Lieblingsfamilienpapa aus Schweden in sein drittes Album. Und das ist auch gut so, denn wie immer hat Pelle in seinen Songs viel Grund zum Klagen gefunden: Über beschissenen Service bei Ryanair, die Heuchelei von "Animal Lovers" (wozu sich perfiderweise ein Jagdhorn ins Arrangement einschmuggelt) oder das fehlende Verständnis seiner Freundin dafür, dass er auf Tournee das Auto ruiniert hat. Soviel (sympathische!) Nörgelei wird ihm schließlich selbst unheimlich, sodass er im letzten Song, "Tired of being PC", bemängelt, dass er langsam zum nörgelnden Alten verkommt - noch dazu wo dem 39-Jährigen ein Internet-Selbsttest bescheinigt hat, dass er ein mentales Alter von 51 habe, o weh! - Das CD-Booklet enthält übrigens einen Passwort-Zugang zu drei Bonus-Tracks auf der Labelseite, auch 'ne hübsche Idee. (Labrador/Hoanzl)

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Pelle Carlberg

Coverfoto: Labrador

Juvelen: "1"
Bleiben wir gleich im Land: Dass Michael Jackson termingerecht zu Halloween bei einer Internet-Umfrage zum gruseligsten Prominenten gewählt wurde, ficht den Stockholmer Jonas Pettersson nicht an. Er nimmt sich den einstigen Star ebenso zum musikalischen Vorbild wie Prince - besonders gut hörbar in superfiepsigen Stücken wie "They Don't Love You" oder "Watch Your Step". Petterson alias Juvelen maunzt zu funkigen Klängen wie eine von Robert Smiths "Lovecats" und vermählt das Ganze noch mit seeehr europäischem Elektropop. Das Ergebnis ist eine unwiderstehliche Groovemischung für Dancefloors jeder Größe. (Hybris/Import)

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Juvelen

Coverfoto: Hybris

"4 Women No Cry, Volume 3"
Die dritte Ausgabe der exzellenten Reihe "4 Women No Cry" versammelt wieder vier Musikerinnen aus aller Damen Länder - gewidmet hat Monika-Mastermind Gudrun Gut die Reihe explizit unbekannteren Größen, Beiträge gab es allerdings auch schon von Monotekktoni und Dorit Chrysler. Für einen melancholischen und kristallklaren Beginn der aktuellen Ausgabe sorgen die Indietronics der Kolumbianerin The Sound of Lucrecia, gefolgt von der Griechin Eleni Adamopoulou alias Manekinekod: Zu kantigeren Klängen - wie zur Erinnerung, dass elektronische Musik mit Maschinen gemacht wird - raunt sie unter anderem von Robotern, die sich in Menschen verlieben. Leicht zugänglich dann die fröhlich blimpernden Kompositionen von Julia Holter aus Los Angeles, quasi der Popperin des Quartetts, ehe die CD mit Liz Christine aus Rio de Janeiro wieder einen großen Sprung weg vom Song und hin zur Klanginstallation macht und die musikalische Rundreise am Ausgangspunkt Südamerika beschließt. (Monika/Hoanzl)

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4 Women No Cry

Coverfoto: Monika

Uzi & Ari: "Headworms"
Creaking steps. We waited watching from underneath the bed ... she's coming up, she's coming up, she's coming up - vor verhaltener Spannung vibriert das Eröffnungsstück "Missoula", um sich in einem von Geigen umspülten Refrain voller verzweifelter Hoffnung zu entladen, dass einem ein Kloß im Hals stecken bleibt: All good children go to heaven. Der fantastische Beginn des neuen Albums von Uzi & Ari, der in Utah beheimateten Band um Ben Shepard, macht eine Vorgabe für weitere Stücke wie "Headworms" oder "Thumbsucker", in denen stets etwas Unausgesprochenes - vielleicht auch Unaussprechliches - die Atmosphäre prägt. Die Soundstrukturen von Mogwai und die Dramatik der Parenthetical Girls vereinen sich hier zu einem Album, das einen unweigerlich in seinen Bann zieht. (Own Records)

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Uzi & Ari

Coverfoto: Own Record (ALIVE)

Max Tundra: "Parallax Error Beheads You"
Der Brite Ben Jacobs alias Max Tundra ist vielleicht eher als Remixer für unter anderem die Pet Shop Boys oder Franz Ferdinand bekannt. Jedenfalls liegt sein letztes eigenes Album sechs Jahre zurück, der Output danach war gering. - Doch nicht ohne Grund, Max hat für "Parallax Error Beheads You" eine unglaubliche Menge an Material angesammelt: Jeder Track birst förmlich vor Ideen, Mini-Melodien und Samples. "Orphaned" klingt wie ein wuselnder Ameisen- haufen, auf den jemand ein Kilosackerl Zucker verstreut hat, und "Nord Lead Three" fegt mit derart aberwitziger Geschwindigkeit durch, dass man dasteht und sich fragt: Was zum Teufel war denn das?? "Parallax Error Beheads You" lebt, wächst, treibt Blüten in Form wunderbarer Melodien ("Until We Die", "Which Song") und mutiert im Zeitraffer. Eine elektronische und zugleich sehr organische Wunderwelt - aber mit so hoher Metabolismusrate, dass sich daneben selbst Kokser wie hundertjährige Schildkröten vorkommen müssen. (Domino/Hoanzl)

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Max Tundra

Coverfoto: Domino

The Billy Rubin Trio featuring Lady S: "Valentine's Massacre"
Unverdrossen wie einst im Mai covert das Wiener Billy Rubin Trio Rock-Hits in den Populärmusikstilen der Prä-Rock'n'Roll-Ära, von Ragtime bis frühem Swing. Sei es Blur ("Song 2"), AC/DC ("Hells Bells", das hier zum klingelnden Tischglöckchen mutiert) oder Queen ("We Will Rock You" in einer extra entspannten Jazzversion). Detailverliebtheit wird groß geschrieben: Die französisch- sprachige Passage aus der Talking Heads "Psycho Killer" gibt der neuen Sängerin Lady S Gelegenheit für ein piafeskes Chanson-Zwischenspiel - und ist das wirklich "Mr. Bojangles", der sich da unauffällig in David Bowies "Changes" mischt? Finger auf die Tracklist legen und sehen, wie schnell man das Lied erkennt, gehört dazu - selbst wenn man ein Schockerlebnis riskiert. Wie ich, als mir auf die Frage nach dem Original eines supersüßen live performten Songs die Antwort Nickelback gegeben wurde. Umfange mich, holde Ohnmacht! (Pate/Edel)

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The Billy Rubin Trio

Coverfoto: Pate Records

Liam Finn: "I'll Be Lightning"
Neuseeland, wo der gebürtige Australier Liam Finn den größten Teil seines Lebens verbracht hat, ist von jeher ein guter Boden für gediegene Gitarrenmusik gewesen: Revolutionen wurden hier zwar keine gestartet, aber die überlieferten Formen des Genres mit quirligem Leben erfüllt. Liam ist als Songwriter noch deutlicher der Tradition verhaftet - "Fire In Your Belly" und der Titelsong klingen sehr nach den Beatles (die er zusammen mit seinem Vater, ebenfalls Musiker, schon gecovert hat!), und wenn er mal richtig losrockt, steht mit subtilem Humor "Lead Balloon" als Titel drüber. Am gelungensten aber sind Nummern à la "Second Chance" oder "Energy Spent", die dahinrattern wie Überlandzüge ... für die es auf Neuseeland kaum noch Strecken gibt, weil alle lieber mit Autos oder Flugzeugen unterwegs sind. O tempora, o mores! (Haldernpop Recordings/Hoanzl)

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Liam Finn

Coverfoto: Haldernpop Recordings

Barbara Morgenstern: "bm"
Jeder Freiraum bringt Platz für Ideen, singt Barbara in "Come to Berlin" und bezieht sich damit ebenso auf den schwindenden Charakter ihrer Heimatstadt, einstmals der "größten Baustelle Europas", wie auf ihren neuen Sound: Die ehemalige Solistin am Keyboard lässt sich diesmal von FreundInnen an Piano, Cello und Gitarre begleiten und singt für "Meine Aufgabe" gar einen Kanon mit dem Chor der Kulturen der Welt. Das ist ein vergleichsweise enormer Arrangement-Aufwand für ihre urbane Poesie, klingt paradoxerweise aber tatsächlich fragiler und leichter als das Georgel von früher. Winter is minimal, da ist schon was dran. Ein Duett mit dem großen Robert Wyatt ("Camouflage", zugleich ein Treffen der Generationen), ergänzt das neue Soundprofil perfekt. (Monika/Hoanzl)

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Barbara Morgenstern

Coverfoto: Monika

Simon Bookish: "Everything/Everything"
Einen satirischen Zugang zur Apokalypse unserer Tage hat Leo Chadburn gefunden und dafür zum dritten Mal seine Pop-Persona "Simon Bookish" aktiviert; unter seinem Geburtsnamen tummelt Leo sich ja eher in der "ernsten" Musik. Ein dandyeskes Highlight der vergangenen Wochen, Ausführlicheres dazu hier. - Und die beim letzten Mal angekündigte Rezension zum Sangesschaffen von Heidelinde Weis kommt nun doch nicht ... dafür aber als nächste Lieblingsplatte. Das Kurzformat würde dafür nämlich nicht reichen! (Tomlab/Trost)

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Simon Bookish

Coverfoto: Tomlab