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Auf sterbende Menschen hinter Gittern wird vergessen - der Kontakt zu Angehörigen fehlt oft und im Strafvollzug scheint Sterben kein Thema zu sein

Foto: REUTERS/Dario Pignatelli

Die Zeiten, wo sich Menschen einmal jährlich, nämlich zu Allerheiligen, mit dem Sterben auseinandergesetzt haben, sind lange vorbei. Die Bevölkerung wird immer älter, Krankheit und Tod sind das ganze Jahr über allgegenwärtig. Dem Wunsch nach einem schmerzfreien Sterben, begleitet von Menschen die Anteil nehmen, werden Palliativmedizin und Hospizbewegung mittlerweile auf breiter Basis gerecht. Vorraussetzung für den Abschied in Würde: Ein Leben in Freiheit.

Schwerkranke fallen aus Strafvollzug

"Hospiz im Strafvollzug ist in Österreich kein Thema", sagt Fred Zimmermann, Leiter der Außenstelle Wilhelmshöhe der Justizanstalt Josefstadt in Wien. Etwa 9.000 Menschen sind in Österreichs Strafanstalten derzeit inhaftiert. Nur ein bis zwei kranke Gefängnisinsassen pro Jahr, so Zimmermann, brauchen auch eine Sterbebegleitung. Alle anderen verbleiben, sobald sie schwer erkranken, nicht länger im Strafvollzug. Sie werden an öffentliche Krankenanstalten überwiesen.

Matthias Geist, evangelischer Pfarrer der Wiener Justizanstalten und Leiter der ARGE Evangelische Gefängnisseelsorge in Österreich, begleitet sterbende Inhaftierte auf ihrem letzten Weg. Er sieht die Gegebenheiten anders: "In Österreichs Gefängnissen sterben Menschen einsam", weiß der Seelsorger und plädiert dafür, dass sich der österreichische Strafvollzug vermehrt mit Themen wie Pflege, Sterben und Tod auseinander setzt. Bedarf dafür scheint es tatsächlich zu geben, denn auch in Gefängnissen werden Menschen älter und die Zahl lebenslanger Haftstrafen nimmt deutlich zu.

Vorbilder

Australien und die USA machen es vor. Im US-Bundesstaat Louisiana werden kranke oder alte Häftlinge in geriatrischen Abteilungen betreut. Mitarbeiter gefängnisinterner Hospizdienste begleiten die eigenen Insassen, bevor sie auf dem Gefängnisgelände ihre letzte Ruhe finden. "Organisierte Sterbebegleitung im Strafvollzug gibt es in Österreich derzeit nicht", weiß auch Wolfgang Moravec, Leiter der Abteilung Betreuung der Wiener Vollzugsdirektion und sieht vor allem im Maßnahmenvollzug einen vermehrten Bedarf. Diese Form der Freiheitsentziehung dient unter anderem der Unterbringung gefährlicher Rückfalltäter und geistig abnormer Rechtsbrecher. Letztere werden nur dann entlassen, wenn sich eine deutliche Besserung der psychischen Zurechnungsfähigkeit zeigt.

Fehlender Kontakt zu Angehörigen

Geist bezeichnet die Sterbenden in Österreichs Gefängnissen als die "Vergessenen" und macht unter anderem den meist fehlenden Angehörigenbezug für den einsamen Abgang der Menschen verantwortlich. Im Hochsicherheitsgefängnis in Stein bei Krems an der Donau dürfen sich schwerkranke Inhaftierte etwas glücklicher schätzen. In einer eigenen angeschlossenen Sonderkrankenanstalt werden die sterbenden Kranken begleitet. "Das Problem mit den Angehörigen bleibt aber aufrecht", erklärt Anstaltsleiter Christian Timm und weiß, dass "Lebenslängliche" oft keinen Kontakt mehr zu Angehörigen pflegen. Die Klippen zwischen Gefängnis und Außenwelt sind laut Timm einfach zu hoch. Der Umgang mit Verbrechern gestaltet sich für die in Freiheit lebenden Verwandten meist schwierig.

Sterben ohne Intimsphäre

Über zwischenmenschliche Schwierigkeiten berichtet Geist seinerseits nichts. Vielleicht, weil sein Zugang zu den Inhaftierten ein ganz anderer ist. Momentan begleitet er einen 60-jährigen Gefangenen, der an Krebs erkrankt ist. Die Gespräche und die Zeit, die er mit dem Mann teilt, ermöglichen, so hofft er, einen Abschied in Würde. "Menschen in Gefangenschaft erleben Sterben anders als Menschen in Freiheit", erklärt der evangelische Seelsorger und macht deutlich wie schwer es sich hinter Gittern trauern und Abschied nehmen lässt. Gefangene stehen immer unter Beobachtung, Intimsphäre gibt es nicht. Nur die Gedanken sind frei oder wie ein Betroffener leidvoll beschreibt: "Der Angnaglte is mei anziga Freind. Der waß scho, wonn er mi holt". (phr, derStandard.at, 29.10.2008)