Eine weltweite Bankenkrise, gefolgt von einer Wirtschaftskrise. An den Wahlurnen erzielt die extreme Rechte spektakuläre Erfolge. Die traditionellen sozialdemokratischen und christdemokratischen Parteien sind unfähig zur Zusammenarbeit. Die Demokratie verliert gegenüber Scharlatanen, die den "starken Mann" geben. Eine ganze Bevölkerungsgruppe dient als Sündenbock.

Nein, wir schreiben nicht 1930. Die Geschichte wiederholt sich nicht. So nicht.
Aber Österreich steht an einer Wegscheide. Wahrscheinlich sogar an der Kippe. Es kann mit Wohlstand und sozialem Frieden so gut weitergehen wie bisher, es können aber genauso gut auch üble Zeiten kommen. Die Frage ist, ob unsere Institutionen, unser demokratischer Grundkonsens, unsere politische Kultur auf diese Belastungsprobe gut vorbereitet sind.

Der Populist hört nicht auf die Sorgen des Volkes

Die politische Klasse führt nicht. Sie hat sich größtenteils einem massenmedialen Populismus unterworfen. Der Populist hört nicht auf die echten Sorgen des Volkes, sondern auf dessen Ressentiments - oder auf die von Massenmanipulierern gezüchteten Ressentiments. Die Ursünde war der Unterwerfungsbrief von Faymann/Gusenbauer, der eine Frage der Staatsräson - die EU-Politik - an die greisenhafte Machtlust von Hans Dichand abgetreten hat.

Aber es ist nicht nur die beliebte Politikerbeschimpfung fällig, sondern auch eine Art Wählerbeschimpfung. Der "Protest" -Wähler wirft den Politikern vor, dass sie seine materiellen Ansprüche nicht (mehr) befriedigen (können). So wählt er eben rechts. Extrem rechts.

Das unheimlichste Phänomen in diesen Tagen ist die anhaltende Verklärung eines Mannes, der zeit seines Lebens nicht viel mehr war als ein verdorbenes politisches Talent, ein Krawallpolitiker. Ja, sicher, er war kein grauer Funktionärstyp, er war faszinierend, auch für seine Gegner. Aber die Hysterie und die Verschwörungstheorien rund um seinen Tod zeugen von einer ungesunden Sehnsucht.

Bei der SPÖ scheinen alle Bremsen ausgebaut

Faymann und Pröll können diese Sehnsucht nicht erfüllen. Es würde aber schon genügen, wären sie in der Lage, Kompetenz und Führungskraft zu zeigen. Von beiden war noch keine umfassende und schlüssige Analyse, kein Konzept zu hören. Beide sind für eine Politik der Rezessionsbekämpfung durch Geldausgeben, wobei Pröll noch gewisse Restskrupel beim Umgang mit dem Geld anderer Leute zu haben scheint.

Bei der SPÖ scheinen hingegen alle Bremsen ausgebaut. Die Frage, wie man (geborgtes) Geld ausgibt, sodass es überhaupt etwas nützt, scheint zweitrangig zu sein. Die FPÖ und die Grünen schließen sich dem freudig an. Beim BZÖ scheint der neue Klubchef in Richtung Mittelstandspartei steuern zu wollen, aber die räudige Anti-Ausländer-Haltung bleibt und die "kaarntnerisch" -völkische Ausrichtung sowieso.

Der Haupteindruck unserer politischen Szene ist der von Unernst, (intellektueller) Unredlichkeit und einer Verlotterung der Sitten. Das konnten wir uns in Zeiten der Hochkonjunktur gerade noch leisten. Jetzt nicht mehr. (Ein weiterer Artikel folgt am Samstag.) (Hans Rauscher, DER STANDARD, Printausgabe, 4.11.2008)