Christine Aurich: "Wenn ein Pferd Beruhigungsmittel bekommen muss, ist das eigentlich kein normaler Zustand. Das würde ich ganz klar ablehnen."

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Der Schwede Göran Bengtsson auf Ninja auf dem olympischen Parcours in Hong Kong.

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"Was wir auf alle Fälle brauchen, sind viel schärfere Kontrollen", meint die Expertin zur schwierigen Frage, wie das Wohlergehen von Pferden im Spitzensportbereich möglichst sichergestellt werden kann. Allerdings müsste das Regelwerk deutlich konsequenter angewendet werden, um vorhandene Missstände in den Griff zu bekommen. Mit Christine Aurich sprach Michael Robausch.

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derStandard.at: Müssen Zuschauer, die zum "Fest der Pferde" gehen, ein schlechtes Gewissen haben?

Aurich: Müssen sie nicht. Generell kann man sagen, dass Reiten für Pferde nicht so wahnsinnig belastend ist. Die Frage ist, ob sie gut vorbereitet sind. Bei Profiveranstaltungen kann man davon ausgehen. Und auch an die gestellten Anforderungen sind die Tiere auf diesem Niveau in der Regel gewöhnt.

derStandard.at: Dass Reiten nicht schädlich für das Pferd ist, gilt das nur für Freizeitreiten oder doch auch für den Spitzensportbereich?

Aurich: Reiten ist dann problematisch, wenn es nicht fachmännisch gemacht wird. Die Belastung ist zweifellos da. Aber der Reiter hat ja auch Interesse daran, dass sein Pferd nicht sofort kaputtgeht, sondern, im Gegenteil, jahrelang läuft. Er wird es daher in der Regel vernünftig einsetzen. Schwarze Schafe gibt es allerdings immer.

derStandard.at: Würden Sie sich eine Schätzung zutrauen, wie verbreitet Missbrauch im Reiterlager ist?

Aurich: Das ist schwer zu sagen. Ich denke, mit zehn Prozent muss man schon rechnen.

derStandard.at: Profireiten spielt sich in einem Grenzbereich ab, Pferde werden verletzt. Gleichzeitig gibt es einen Katalog mit ethischen Grundsätzen der Deutschen Reiterlichen Vereinigung. Darin steht, dass das Wohl des Pferdes über alles, auch über sportliche Ambitionen, zu stellen ist. Ist das kein Widerspruch?

Aurich: Was wir auf alle Fälle brauchen, sind viel schärfere Kontrollen. Und zwar nicht erst unmittelbar vor der Prüfung. Das muss im Vorfeld passieren. Da müssen die Pferde kritisch in Augenschein genommen werden, und die Kontrolleure müssen auch Maßnahmen ergreifen können.

derStandard.at: Wie soll das organisiert werden, wer sollte die Sanktionsmöglichkeiten haben?

Aurich: Das muss von der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI) ausgehen. Die Kontrolleure müssen aber wirklich unabhängig sein, die dürfen nicht unter Druck kommen. Denn es zeigt sich immer wieder, dass Leuten, die etwas anprangern, gerade das passiert. 

derStandard.at: Soll der Internationale Verband auch Durchgriffsmöglichkeiten bei nationalen Veranstaltungen bekommen?

Aurich: Zuständig sind hier die nationalen Reiterlichen Vereinigungen, aber die FEI müsste auf jeden Fall sagen können: Bei euch passt etwas nicht, seht einmal nach, was da los ist.

derStandard.at: Was immer wieder kritisiert wird, ist etwa die Tatsache, dass kontrollierende Tierärzte von den Veranstaltern selbst zu stellen sind. Stiehlt sich der Verband da nicht aus seiner Verantwortung?

Aurich: Die Tierärzte vor Ort, sind meiner Meinung nach nicht das Problem. Die sind ja dazu da, etwa bei akut auftretenden Verletzungen sofort einzugreifen. Es geht eher darum, dass Pferde bewusst manipuliert werden. Das macht mir mehr Angst. Und das muss auch aufgedeckt werden.

derStandard.at: Also regelmäßig Dopingtests für Pferde?

Aurich: Richtig. Und nicht nur Doping. Es geht auch auf den generellen Umgang mit den Tieren. Das muss ganz streng kontrolliert werden.

derStandard.at: Man müsste also etwa auch in die Gestüte gehen?

Aurich: Ja, oder unangemeldet beim Training auftauchen und sich das einmal ansehen. Man erlebt das ja immer wieder, dass die Pferde bei den Prüfungen okay sind. Aber auf dem Abreiteplatz passieren zum Teil Dinge, wo man sagt, da müsste einmal jemand eingreifen. Und das passiert meiner Meinung nach zu selten.

derStandard.at: Reichen das vorhandene Regelwerk aus, um ein strengeres Vorgehen auch umsetzen zu können?

Aurich: Ich kann im Prinzip mit dem Tierschutzgesetz jederzeit kommen und sagen: das ist tierschutzrelevant, was hier passiert. Das wird zu wenig ausgenutzt. Das gilt übrigens nicht nur für den Spitzensport, sondern auch für Schauveranstaltungen. Die müsste man sich genauso anschauen.

derStandard.at: Im Reitsport gilt die sogenannte "Nulllösung". Medikation darf nur angewandt werden, wenn sie vorher angezeigt wird. Ist das nicht ein Gummiparagraf, der die Gabe von Substanzen ermöglicht, die eigentlich verboten werden müssten?

Aurich: Das halte ich für sehr gefährlich. Es gibt ja auch die Fälle, wo dann ein Medikament zwar erlaubt ist, aber nicht dort, wo es dann wirklich eingesetzt wird. So war es ja auch in jenen Fällen, die bei den Olympischen Spielen aufgedeckt wurden. Die Capsaicin-Salbe ist auf dem Rücken angewandt okay, aber wenn sie auf die Beine aufgetragen wird (um die Schmerzempfindlichkeit zu erhöhen, Anm.), nicht. Das kann auch nachträglich nicht mehr kontrolliert werden.

derStandard.at: Was könnte der Ausweg sein?

Aurich: Gewisse Präparate müssen generell verboten werden. Ansonsten muss eine nachweisbare Indikation vorliegen. Dann könnte für ein Pferd auch von vornherein eine Ausnahme beantragt werden. Das könnte man sich etwa bei Behandlungen von Muskelverspannungen denken. Da muss es aber auch zeitliche Limits geben.

derStandard.at: Derzeit reicht es, wenn der Reiter solche Fälle anzeigt. Glauben die Turnierärzte den Angaben der Reiter zu bereitwillig?

Aurich: Es ist sicher so, dass nicht immer nachkontrolliert wird. Vorschriften werden zum Teil großzügig ausgelegt, es wird zum Teil sicher auch weggeschaut. Insgesamt müsste sicher wesentlich schärfer nachgeprüft werden. Man hat den Eindruck, dass man sich manchmal nicht traut, Dinge zu verhindern. Und das kann eigentlich nicht sein.

derStandard.at: Thomas Frühmann hat in einem STANDARD-Interview die Praxis der Nulllösung kritisiert. Wenn er seinen Pferden etwa vor dem Scheren Beruhigungsmittel geben muss, dürfe er einige Wochen nicht bei Turnieren antreten.

Aurich: Wenn ein Pferd vor irgendetwas Angst hat und  Beruhigungsmittel bekommen muss, ist das eigentlich kein normaler Zustand. Das würde ich ganz klar ablehnen. Diese Angst kann man dem Pferd auch durch Training und Vertrauensaufbau nehmen.

derStandard.at: Kann das Springreiten der Natur des Pferdes überhaupt entsprechen, oder ist das etwas völlig Wesensfremdes?

Aurich: Man muss es den Pferden schon beibringen. Aber sie entwickeln dann durchaus eine gewisse Begeisterung dafür. Das kann man schon sehen. Wenn Sie ein Pferd gut trainieren, merken Sie, wie es unter Ihnen den Sprung anzieht. Wenn das Pferd Sicherheit hat, kann es auch Freude an solchen Aktionen haben. Wir haben beim Training die Stresshormone gemessen - was da freigesetzt wurde, war minimal.

derStandard.at: Das Umfeld ist also eher das Problem, als die Springerei selbst?

Aurich: Die Halle, die Scheinwerfer, die Zuschauer - das kommt natürlich alles noch dazu. Und dann sind die Anforderungen heute schon extrem hoch geworden. Die Stangen fallen sehr leicht, es werden schwierige Prüfungen gestellt. Da werden die Tiere schon an ihre Grenze gebracht. Hier ist die Verantwortung des Reiters gefragt.

derStandard.at: Sollte man sich überlegen, bei den großen Turnieren einen Schritt zurück zu machen?

Aurich: Vor allem muss man bei der Zulassung streng sein. Es dürfen nur Pferde und Reiter teilnehmen, die das auch können. Bei der Vielseitigkeit lag da besonders viel im Argen.

derStandard.at: Und Mächtigkeitsspringen? Sollte man so etwas generell lassen?

Aurich: In die Mächtigkeit gehen nur sehr wenige Pferde. Und die sind wahrscheinlich besonders gut vorbereitet. Ich glaube, da würde man die falsche Prüfung streichen. Auch wenn diese für Laien natürlich sehr spektakuär wirken. Die "normalen" Springprüfungen sind zum Teil problematischer, weil Reiter und Pferde hineinkommen, die das nicht so gut können.

derStandard.at: Was sind die physischen Problemzonen bei Pferden im Spitzensportbereich?

Aurich: Ganz klar die Beine, die das alles mittragen müssen. Dann treten durch nicht optimale Körperhaltugen immer wieder Lungenprobleme auf. Und auch die Psyche muss man immer mitbetrachten, damit aufgrund von Überlastung keine Verhaltensstörungen auftreten.

derStandard.at: Wie kann das vermieden werden?

Aurich: Überbelastung muss schon in einem frühen Stadium verhindert werden, etwa indem man Pferde nicht so früh in Prüfungen hineinschickt. Man darf heute mit Dreijährigen anfangen zu reiten, aber man muss es nicht dreijährig voll fordern. Das kann man durch Vorgaben im Turniersport in den Griff bekommen. Die Leute sollten sich mehr Zeit für die Ausbildung nehmen, die Pferde langsamer an die Herausforderungen herangeführt werden. (derStandard.at 6.11. 2008)