Ende eines Dogmas: Überflüssige tRNA wird nicht mehr vom Ribozym (grün) entsorgt, sondern von einem Protein-Enzym (rot).

Illustration: 2MC

Wien - Walter Rossmanith ist "schon ein bisschen stolz", wie er sagt. Kann er auch sein. Die jüngste Arbeit seines Forschungsteams vom Zentrum für Anatomie und Zellbiologie der Medizin Universität Wien wurde vergangene Woche nämlich im Top-Fachmagazin Cell publiziert. Und diese Woche gleich noch vom Konkurrenzblatt Nature als Research-Highlight bejubelt.

Rossmanith, Erstautor Johann Holzmann und ihre Gruppe hatten sich tief in die Molekularbiologie und in menschliche Mitochondrien - also die "Kraftwerke" in unseren Zellen - vorgewagt und einen entscheidenden Mechanismus bei der Herstellung von Proteinen erforscht. Was sie gefunden haben? Nichts! Und das ist das eigentlich Sensationelle: Dort, wo nach gängiger Lehrmeinung Ribonukleinsäure (RNA) sein sollte, war keine.

"Wir haben mit unserer Arbeit nicht nur eine 20 Jahre alte Annahme der Wissenschaft widerlegt", erklärt Rossmanith, "sondern auch gezeigt, dass die molekularbiologische Evolution einen anderen Weg eingeschlagen hat als bisher angenommen." Und was nicht in der Publikation steht, sagt er dem STANDARD: "Ich glaube, unsere Entdeckung steht irgendwie auch in Zusammenhang mit Alzheimer."

Doch der Reihe nach. Enzyme spielen eine tragende Rolle im Stoffwechsel aller lebenden Organismen: Sie steuern den überwiegenden Teil biochemischer Reaktionen - von der Verdauung bis hin zum Kopieren der Erbinformation. Auch für die Synthese von Proteinen, also für das Übersetzen der Erbinformation in Eiweiße, sind Enzyme unerlässlich. Aber nicht nur die: Auch verschieden strukturierte Erbgutschnipsel in RNA-Form sind dabei wichtig.

Eines dieser Erbgutschnipsel, das im Syntheseprozess von Proteinen so was wie die Übermittler-Rolle einnimmt und die Information vom Erbgutmolekül quasi auf die Eiweiß-Werkbank legt, ist die Transfer-RNA. Zu dumm nur, dass diese tRNA in menschlichen Zellen recht schlampig hergestellt wird und das Molekül an seinem Ende störende Überhänge hat.

Um diese Anhängsel wegzuschnipseln, braucht es nun ein Enzym. Ein solches gibt es auch, und es heißt "RNase P". Weil sich dieses Enzym an einer Form der Ribonukleinsäure zu schaffen macht, nennt es der Fachmund Ribozym. Und weil ein Ribozym an RNA-Schnipseln herumwerkt, muss es auch selbst aus RNA bestehen, so die gängige Lehrmeinung.

Es geht auch ohne RNA

Dieses Dogma der Wissenschaft könnte man auch so umschreiben: Um einen Schweinsbraten zu brutzeln, braucht es Schweinefleisch. Doch dann kamen die Wiener Forscher und zeigten, dass es auch mit Fisch geht. In der RNase P ist nämlich keine RNA, das Ribozym ist ein Enzym, besteht aus drei Proteinen - mithin das Ende des Dogmas.

Während der Evolution menschlicher Mitochondrien, lautet Rossmaniths Interpretation des Ganzen, habe ein neues Protein-Enzym die Aufgabe übernommen, Überhänge von der tRNA zu entfernen. Und das dadurch arbeitslos gewordene alte Ribozym ging im Laufe der weiteren Evolution verloren.

Und was hat das mit Alzheimer zu tun?"RNase P besteht aus drei Proteinen", erklärt Rossmanith. "Und eines dieser Proteine bindet ausgerechnet Beta-Amyloid." Dieses ist jener Eiweißstoff, der für die Ablagerungen im Gehirn von Alzheimerpatienten - die darüber hinaus auch einen gestörten mitochondrialen Stoffwechsel haben - verantwortlich ist. Doch diesen Zusammenhang zu erforschen sei eine andere Geschichte. (Andreas Feiertag/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8./9. 11. 2008)