Barbara Heitger (Heitger Consulting) und Martin Engelberg (Vienna Consulting Group) mit Psychoanalytiker Otto Kernberg (in der Mitte): "Leadership revisited".

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"Wie ist es möglich, dass Führung so flächendeckend versagt hat?", formuliert Martin Engelberg (Vienna Consulting Group) die seit Wochen über dem Krisen-Thema schwebende Frage. "Beiträge, keine omnipotenten Antworten", bot der prominente Psychoanalytiker Otto Kernberg bei einem seiner raren Auftritte dieser Woche im STANDARD.

Vorweg: Schlichte "Machtverteilung" biete sich nicht als Lösung an. Verantwortung sei nicht zu delegieren, demokratisierte Führung à la Matrix-Modell funktioniere selten, die Fantasie der Demokratisierung der Institutionen (geboren aus dem Wunsch nach Gleichheit, erzeugt eigentlich aus Neid) führe zu institutionellem Strukturverlust. Andererseits gelte es "Autoritarismus" zu bekämpfen, denn: Autoritär geführte Unternehmen würden eine dreischichtige Struktur mit korrupter zweiter Ebene und paranoider Mehrheit ausbilden. Die Besten würden darin depressiv und schließlich gehen.

"Profit und nach uns die Sintflut"

Ob die Subprime-Krise vorherzusehen war? "Ja", sagt Kernberg, aber die Devise "war Profit und nach uns die Sintflut". Barbara Heitger (Heitger Consulting) attestiert eine Heroisierung von Führung, argumentiert dies auch mit der Karriere des Begriffes Leadership. Gründe seien die permanente Veränderung mit immer weniger Halt und Orientierung in den Unternehmen, disruptiver Innovationsbedarf und die Anforderung ständiger multikultureller Kooperation im Zuge der Globalisierung. So erklärt sich für Heitger auch der enorme Zustrom zu den verschiedenen "Coaches".

Zurück zu den Persönlichkeiten an der Spitze aus der Sicht der Psychoanalyse: Es gehe um eine delikate Balance am Grat narzisstischer und paranoider Aspekte, so Kernberg. Fehlen die beiden ganz, dann sei Führung unsicher und wolle geliebt werden. Das sei auch gefährlich. Übertriebene Narzissten aber schafften einen Kreis von Anbetern, schickten Kritiker in die Peripherie, könnten in ihrer empfundenen Großartigkeit Menschen in der Tiefe (und dann in ihren Fähigkeiten für die Firma) nicht erkennen. Kernberg: "Sie bekommen oft Führerschaft."

"Bösartige Narzissten eliminieren sich selbst"

Pathologisch Paranoide wiederum seien von intensiver Aggression getragen, die auf andere projiziert werde. Extremes Kontrollbedürfnis, exzessive Reaktion auf Fehler und ein Klima der Furcht seien die Folge: "Man gehorcht ihnen aus Angst, nicht aus Loyalität. Sie verlieren die Information." Und die Verbindung beider? "Bösartige Narzissten eliminieren sich selbst", sagt Kernberg. Wehren könnten sich Organisationen nur, wenn die zweite Ebene kooperiert und/oder der Aufsichtsrat handelt. "Das ist oft ein Problem."

Grundsätzlich gibt er zu bedenken: "Macht verursacht immer Verführung zur Unehrlichkeit." Deren schwerste Formen finde er bei narzisstischen Persönlichkeiten. Aber: Der Begeisterung des Machtgefühls sei schwer zu entgehen, woran auch eine sexuelle Dimension hänge, woraus sich Drogenkonsum, Alkoholismus, sexuelle Beziehungen als negative Folgen dieser "Begeisterung" ergeben würden.
Anzusetzen sei, so die drei, auf vielen Ebenen: Strukturell in den Organisationen, bei der Auswahl und bei der Arbeit am Verhalten - dieses sei änderbar. "Psychiatrie" brauche es dazu keine, lacht Kernberg als Analytiker, aber zum Beispiel gute Berater mit der Fähigkeit, Menschen in der Tiefe zu erkennen.
Fünf Bedingungen müsse eine gute Führungskraft erfüllen, sagt er:

  • Über Intelligenz verfügen, die strategisches und konzeptuelles Denken befähige.
  • Ehrlich und unbestechlich sein, um Menschen in der Organisation fair zu behandeln und nicht bloß Freunde zu belohnen.
  • Intensive und tragfähige Beziehungen zu anderen Menschen herstellen können.
  • Eine gesunde Selbstbehauptung (ein hilfreiches Maß an Narzissmus) haben.
  • Und von einem Gefühl der Wachsamkeit und Behutsamkeit der Welt gegenüber getragen sein. Dann werde nicht alles ungeprüft übernommen, naive Leichtgläubigkeit sei dann auch ausgeschlossen. (Karin Bauer/DER STANDARD; Printausgabe, 15.11./16.11.2008)