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Lidl will jetzt die Möglichkeit, Essen zu verschenken, prüfen lassen.

AP Photo/Joerg Sarbach

Der Ruf von Lidl in Schweden wird immer schlechter. Nach zahlreichen Ekelmeldungen à la "tote Maus im Lidl-Orangensaft" ermittelt die Polizei nun gegen den deutschen Lebensmitteldiscounter wegen eines sehr ernsten Vergehens:

Um Obdachlose daran zu hindern, sich aus dem weggeschmissenen Lebensmittelsortiment in Müllcontainern einer Lidl-Filiale im Stockholmer Stadtteil Solna zu bedienen, hatte der Supermarkt die Waren bewusst mit Reinigungsmittel vergiftet, bevor sie in die Tonnen gelangten. Dazu öffneten Angestellte systematisch Vakuumverpackungen, abgepacktes Fleisch und andere Esswaren, um den Inhalt dann in einem Bottich mit ätzendem Reinigungsmittel zu verunreinigen. Bei dem Mittel soll es sich um Chlorit gehandelt haben, das bereits bei geringer Einnahme starkes Brennen im Hals und Durchfall verursacht. Gerade bei Obdachlosen komme hinzu, dass sie oft unter einem schlechten Immunsystem leiden, betont Jan Halldin von Convictus, einer religiösen Wohltätigkeitsorganisation für Obdachlose.

Trotz eines von Lidl angebrachten Warnschilds an den Containern sollen Obdachlose laut der lokalen Stadtteilzeitung Mitt i Solna die vergifteten Lebensmittel weiterhin aus den Tonnen mitgenommen haben. Ob sie sie gegessen haben, ist bislang nicht geklärt. Die schwedische Polizei ermittelt nun gegen Lidl wegen bewusster "Gefahrenverursachung für Dritte". Polizeistationschef Gert Fredlin kündigte mehrere Verhöre an. "Wir wollen wissen, was das genau für ein Stoff war, der den Lebensmitteln zugefügt wurde. Was hat der für einen Effekt? Und wir wollen wissen, was für eine Absicht dahintersteckt", so Fredlin.

Im sozial orientierten Schweden erregte der Fall großes Aufsehen. Der Tenor: "Die armen Obdachlosen. Eigentlich müsste ein so großer Konzern seine übriggebliebenen Waren an die Obdachlosen ausliefern, statt sie zu vergiften."

"Wenn ich nicht will, dass jemand meine Sachen anrührt, habe ich dann auch das Recht, Leute zu vergiften?", fragt sich der ehemalige Obdachlose Rolf Nilsson. Er findet, dass bei Lidl ein "widriges Menschenbild" durchscheint. Auch kirchliche Organisationen, die sich um obdachlose Schweden kümmern, kritisieren Lidl nun auf das Schärfste.

Lidls Führung in Schweden bestätigte, dass das Motiv für die Vergiftung der Abfälle tatsächlich war, Obdachlose davon abzuhalten, in den Containern hinter der Filiale nach Essen zu stöbern, weil sie dadurch das Gelände verschmutzten. Lidl hat sich inzwischen entschuldigt. Die Mitarbeiter hätten "über einen kurzen Zeitraum" Lebensmittel vergiftet, teilte Mathias Kivikoski, Chef des Unternehmens in Schweden, mit. Lidl bedauere dies "zutiefst". Das Handeln der Mitarbeiter werde von Lidl nicht "empfohlen oder erlaubt", sagte er.

Weder die Stockholm-Führung, noch der Filialleiter sollen über die Vergiftung informiert gewesen sein. Es habe sich lediglich um eine unerlaubte Initiative des Personals gehandelt. Dieses sei frustriert gewesen, den Arbeitstag damit beginnen zu müssen, hinter dem Geschäft sauber machen zu müssen. Statt Gift anzuwenden, wolle man in Zukunft weggeschmissene Lebensmittel einschließen. Die Möglichkeit, essen an Obdachlose zu verschenken, soll zumindest geprüft werden.

Obwohl die herkömmlichen Supermärkte im Lande deutlich teurer sind als Lidl, hat der Konzern wegen seines schlechten Rufs große Schwierigkeiten, sich am schwedischen Markt durchzusetzen. (André Anwar aus Stockholm, DER STANDARD Printausgabe, 17.11.2008)