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"Denk ich an Deutschland. . . in der Nacht . . .", klagte einst Heinrich Heine über das Land der Dichter und Denker, und er kannte weder die Pisa-Studie noch die aktuellen Wachstumsprognosen. Der große Nachbar hat Grund zum Klagen. Seit Dienstag erstmals von den Top-30-Titeln der Mailänder Börse überholt, sind die 30 Dax-Unternehmen weniger wert als die größten drei britischen Konzerne BP, Vodafone und GlaxoSmithKline. Der Zusatz "deutsch" sei eine wirksame "poison pill", witzelt bereits die gesamte Londoner City. Nun stellt auch noch die Ratingagentur Fitch die deutsche Bonität infrage.

Machen wir's kurz: Die Deutschland AG, wär' sie wirklich eine, wäre ein idealer Übernahmekandidat. Eine Gelegenheit zum Schnäppchenpreis! Und die Österreich AG, wär' sie wirklich eine, der ideale Akquisiteur? Die Nähe zur Kultur spricht dafür: Denn 64 Prozent aller Übernahmen scheitern, 70 Prozent davon am "kulturfit". Doch gelungene Übernahmen brauchen mehr als einen guten Preis und eine gemeinsame Kultur. Sechs Fragen gilt es zu beantworten:

  • Erstens: Wie gut ist die Substanz? Der Markt ist groß, die Menschen fleißig, der Mittelstand rege und die Exportlokomotive stark. 24.300 € BIP pro Einwohner - Platz acht knapp hinter Österreich - und 100 Mrd. €Handelsbilanzüberschuss sprechen für den Deal.

  • Zweitens: Wie stark ist die Performance? Im World Competitiveness Report ist Deutschland von Platz zwölf auf 15 abgerutscht. Die Arbeitslosenrate ist mit acht Prozent doppelt so hoch, die Wachstumsrate mit nur 0,2 Prozent gerade einmal ein Viertel der österreichischen.

  • Drittens: Wie gut ist das Management? Weder Managern noch Politikern traut man derzeit zu, die Wirtschaft wieder auf Kurs zu bringen. In der berühmten Sonntagsfrage würde nicht einmal mehr ein Drittel der Wähler die amtierende Regierung wählen. Die Opposition käme allerdings auch nicht über 50 Prozent. Unser neues (altes) "Management" muss sich aber, unter uns, auch erst beweisen.

  • Viertens: Wie sähe ein Wertsteigerungsprogramm aus? Ziel und Richtung sind klar: weniger Bürokratie, mehr Unternehmertum und eine konzertierte Aktion für die Reform des Sozialstaats. Ob in der Verwaltung, im Gesundheitswesen oder in der Alterssicherung - die bestehenden Systeme sind in puncto Leistung, Effizienz und Finanzierung in schlechter Verfassung.

  • Aber nun zu uns, denn das fünfte Kriterium lautet: Könnten wir es denn besser? Unsere Zahlen sprächen dafür. Als Externe hätten wir auch bessere Chancen für die konsequente Umsetzung - unbeeinflusst von Besitzstandswahrern und Bedenkenträgern; und mit Beamten und Bürokraten kennen wir uns auch aus.

  • Doch halt! Bevor der Deal gemacht wird, das sechste Kriterium: Können wir uns das denn leisten? Da sieht es schlecht aus, fürchte ich. Denn die deutschen Schulden wären dann unsere, und die sind mit 15.000 €pro Kopf nicht niedrig. Noch höher sind sie aber bei uns, um ganze 1000 €.

So wird's wohl nichts mit unserer Übernahmehilfe. Mit so viel Schulden würden wir uns übernehmen und würden - ganz nach Heine - ". . . um den Schlaf gebracht". (DER STANDARD, Printausgabe 1.3.2003)

Nachlese

--> Gegen die Endzeit-Stimmung
--> Sei willkommen Krise?