Nachrichten des staatlichen weißrussischen Fernsehens versetzen in die sowjetische Vergangenheit. Allabendlich erscheinen selbsternannte Analytiker, um die Fortschritte der weißrussischen Führung zu verdeutlichen. Ihnen zufolge steigt Weißrusslands internationales Ansehen zusehends, was auch der jüngste Besuch des libyschen Staatschefs Gaddafi in Minsk zeige.

Freilich wird auch über die weltweite Finanzkrise berichtet, aber gleichzeitig versichert: Weißrussland werde verschont bleiben. Da Präsident Alexander Lukaschenko die Bankeinlagen der Bürger garantiere, gebe es überhaupt keinen Grund, sich um die Ersparnisse Sorgen zu machen.

Doch Ruhe und Zuversicht sind vorgetäuscht. Viele, die sich über den Zustand der Wirtschaft aus Alternativquellen, überwiegend aus dem Internet, informieren, bringen ihr Geld in Sicherheit. Beispielgebend sind die Mitarbeiter der großen Banken, die laut Gerüchten ihre Ersparnisse nach und nach von ihren Konten abziehen.

Die meisten Fachleute, unter ihnen Wirtschaftsexperte Leonid Zlotnikow, glauben, dass es Weißrussland besonders hart treffen wird, weil die Haushaltseinnahmen durch den sinkenden Ölpreis drastisch reduziert werden. Bisher bestanden die Budgeteinnahmen des Landes zu beinahe 40 Prozent aus dem Verkauf von Produkten der Ölverarbeitung in die EU.

Stabile Erträge gefährdet

Die heikle Wirtschaftslage könne die Regierung in echte Schwierigkeiten bringen, glaubt der unabhängige Minsker Politologe Valerij Karbalewitsch. Denn wenn Lukaschenko 1994 als Präsident der genügsamen sozialen Unterschichten gewählt wurde, ist er durch seine guten Beziehungen mit Russland, die ihm bisher stabile Erträge durch Ölgeschäfte garantierten, zum Präsidenten der wachsenden Mittelschicht geworden.
Auf diese Mittelschicht müsse Lukaschenko sich jetzt stützen. Diese Menschen sind es, für die eine Öffnung gegenüber dem Westen erstrebenswert wäre. Sollte Lukaschenko ihnen keine wirtschaftliche Stabilität mehr garantieren können, wäre es um seine Macht wirklich schlecht bestellt, sagt Karbalewitsch.

Deshalb versucht Lukaschenko, den Erwartungen der Mittelschicht zu entsprechen, und schlägt gegenüber der EU und sogar gegenüber den USA freundlichere Töne an. In einem Leitartikel der staatlichen Tageszeitung Sowjetskaja Belorussija wurde neulich angemerkt: Von der neuen US-Administration erwarte man in Minsk eine politische Wende. Das wäre zum bereits eingeleiteten Dialog zwischen Minsk und Brüssel eine logische Ergänzung. Schließlich habe Minsk in letzter Zeit in einem klaren und bestimmten Ton seine Bereitschaft gezeigt, in den Beziehungen zur EU und zu den USA eine neue Seite aufzuschlagen.

Lukaschenkos Annäherungsversuche an den Westen könnten auch dadurch bedingt sein, dass er die Interessen seiner politischen Nomenklatura, die in den letzten Jahren an wirtschaftlichem Gewicht merklich zugenommen hat, bedienen muss, sagt der Minsker Politologe Andrej Liachowitsch: "In der Tat ist Lukaschenko ein Teamspieler, seine Nomenklatura möchte jetzt ihr politisches Kapital zu echtem Geld machen." Und Lukaschenko habe sich vor seiner Nomenklatura verpflichtet, das Land wirtschaftlich zu liberalisieren und eine Privatisierung durchzuführen. Liachowitsch erwartet, dass demnächst eine Reihe von weißrussischen Betrieben, vor allem Banken, privatisiert werden.

Aber das Geld der Nomenklatura reiche noch nicht dafür aus, Kontrollpakete der Aktien zu erwerben, deshalb wolle sie die einheimischen Betriebe mit westlicher Hilfe modernisieren und ertragreicher machen. Vor Russland hat man in Weißrussland und insbesondere in Lukaschenkos Umgebung Angst, denn man weiß zu gut: Die russischen Geschäftsleute sind harte und gefährliche Partner mit teilweise kriminellem Hintergrund.

Laut Liachowitsch will Lukaschenko dem Westen signalisieren, dass er ein zuverlässiger Wirtschaftspartner sei. Zu politischen Kompromissen sei er aber nicht bereit. Die Freilassung des prominenten Polithäftlings Alexander Kosulin vor der Parlamentswahl sei kein Schritt zur politischen Liberalisierung, sondern nur die Einhaltung eines Versprechens gegenüber dem Westen gewesen. (Tatjana Montik aus Minsk/DER STANDARD, Printausgabe, 26.11.2008)