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Humanes Immundifizienz-Virus lässt sich mit medikamenten in Schach halten

Foto: AP/Roberto Pfeil

1985 waren sie die Ersten. Sie litten an unerklärlichen Symptomen: Müdigkeit, Hautausschlag, Infektionen oder Hepatitis. Kaum einer dachte an "die amerikanische Schwulenkrankheit", die damals hauptsächlich über die Fernsehsender nach Europa und auch nach Österreich schwappte. Doch es gab sie schon, die HIV-Infizierten. Meist standen sie allein auf den Krankenhausfluren. Nicht nur dass sie keine "anderen Betroffenen" kannten, nicht selten wandten sich auch Freunde, Familien und sogar das Krankenhauspersonal voller Angst ab. Häufig brachten sie Gerüchte über den Ex-Partner dazu, einen Test zu machen. Selbst vermeintlich rettende Blutkonserven konnten den Weg in die lebenslange Krankheit bedeuten. "Der Tag, an dem das Ergebnis kam, war ein einziger Albtraum. HIV und Aids", sagt eine von ihnen. Denn Mitte der 80er-Jahre hieß das noch, mit hoher Wahrscheinlichkeit innerhalb der nächsten fünf Jahre zu sterben.

Doch es gibt sie, die Patienten, die heute noch leben. Und es werden mehr. Dank hochwirksamer Therapien, die das Virus nicht vollständig, aber bis jenseits der Nachweisgrenze eliminieren können, gehören sie zu der ersten Generation Patienten, die mit dem Immunschwächevirus alt werden.

"Inzwischen sind 23 Prozent, fast ein Viertel aller HIV-infizierten Österreicher, über 50", sagt Armin Rieger, Leiter der HIV-Ambulanz an der Klinik für Dermatologie am AKH in Wien. Das ist ein großer Erfolg, den sich vor 20 Jahren niemand vorstellen konnte. Doch hinter der Fassade lauern nun ganz neue Probleme, die den Patienten und ihren Ärzten zu schaffen machen.

Kollateralschäden

Denn das Virus und das Alter potenzieren sich gegenseitig. Sie verbindet ein kompliziertes Zusammenspiel zwischen Natur, Krankheit und den Nebenwirkungen der Behandlung. So schwächen sowohl HIV als auch das Alter die menschliche Abwehrkraft. Herz-Kreislauf-Erkrankungen treffen hauptsächlich Menschen jenseits der 50 Jahre, aber chronische Infektionen verstärken diesen Trend, wie auch die Nebenwirkungen der Medikamente, die von hohem Blutdruck - einer der Ursachen für Herzinfarkte - über Osteoporose, weil sie dem Körper Kalzium entziehen, Diabetes, weil der Zuckerspiegel außer Kontrolle gerät, bis hin zu schweren Nervenschmerzen reichen.

Als eine sehr gefährliche Partnerschaft bezeichnet Rieger das Zusammenspiel von sogenannten humanen Papilloma (HP)- und HI-Viren. "Offenbar hilft das Immunschwächevirus den als Auslöser von Gebärmutterhalskrebs bekannten HP-Viren, Körperzellen entarten zu lassen", warnt er. Gerade HIV-positive Männer würden vermehrt an Anal- und Peniskrebs erkranken.

Und noch immer rätseln Mediziner über ein ganz eigentümliches Symptom: Der Körper von HIV-Patienten beginnt sein Fett umzuverteilen. Während Beine und Hüften nur noch aus Haut und Knochen bestehen, lagern sich um Bauch, Nacken, im Gesicht und bei Frau auch in den Brüsten unverhältnismäßig hohe Fettanteile an, die der Körper in einigen Fällen kaum tragen kann. Obwohl es noch keine endgültigen Beweise gibt, gehen Ärzte davon aus, dass der Umbau zwei Ursachen hat. "Während die Infektion dafür sorgt, dass Fett abgebaut wird, scheint vor allem ein Medikament, das in den 90er-Jahren eingesetzt wurde, für die Fettablagerungen verantwortlich zu sein", berichtet Rieger.

Die große "Blackbox", wie sie Stephen Karpiak nennt, Direktor an der Aids Community Research Initiative of America und Autor einer der wenigen Studien, die sich mit HIV und Altern befassten, liegt aber auch am Mangel großer Untersuchungen. Pharmafirmen schließen nur ungern ältere Menschen in ihre klinischen Versuche mit ein - weil gerade Hochrisikopatienten ein komplexeres Bild der Ergebnisse zu einschlägigen Medikamenten abgeben könnten. "Tatsächlich muss man froh über jedes neue Medikament sein, das auf den Markt kommt, weil es uns die Möglichkeit bietet, die Behandlung auf den Patienten abzustimmen - ganz gleich, ob das Virus gegen ein Mittel resistent wurde oder Nebenwirkungen unzumutbar werden", sagt Armin Rieger.

Gezeichnet

Doch das Altern mit HIV steckt nicht nur voller gesundheitlicher Gefahren. "Als wenigstens ebenso dramatisch wird von Betroffenen die Ausgrenzung und Isolierung der Gesellschaft empfunden", berichtet Sandra Dowiky von der Aids Hilfe Wien. Denn im Gegensatz zum medizinischen Fortschritt habe sich hinsichtlich der gesellschaftlichen Akzeptanz wenig getan. Noch immer würden die meisten der 12.000 bis 15.000 HIV-Positiven in Österreich über ihre Infektion schweigen. "Und sie tun leider immer noch gut daran", sagt Dowiky. Entlassungen, Kredit- und Versicherungsverweigerung seien nur eine Form der Diskriminierung, die HIV-Patienten heute genauso wie vor 20 Jahren fürchten. (Edda Grabar, DER STANDARD, Printausgabe, 1.12.2008)