Felix Gottwald jetzt als Autor...

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...und einst als Medaillen-Abräumer in Turin.

Foto: Reuters/Foeger

Wien – Der Auftakt zum Weltcup der Nordischen Kombinierer ist am Wochenende in Kuusamo erfolgt. derStandard.at traf sich zum Saisonstart mit Felix Gottwald, dem ehemaligen König der Zunft. Gesprächsthema war aber weder das neue Reglement, noch die guten Darbietungen der ÖSV-Athleten, sondern sein selbst geschriebenes Buch "Ein Tag in meinem Leben", das sich mit dem 21. Februar 2006, also dem Gewinn der olympischen Goldmedaille in Turin auseinandersetzt.

derStandard.at: Wie schwer oder leicht ist es Ihnen gefallen, ein Buch zu schreiben?

Felix Gottwald: Ich wollte zunächst alles in den ersten Satz verpacken, das ging natürlich nicht, also musste ich meine Gedankenflut regulieren und das Tempo herausnehmen. Es ist wie im Sport: wenn man in vier Jahren zu olympischen Spielen antreten will, kann man das notwendige Trainingspensum nicht am ersten Tag absolvieren. Man muss sich von Tag zu Tag weiterentwickeln. Der kreative Teil, der Schreibfluss kam dann einer Meditation gleich. Die Phase des Überarbeitens war hingegen Knochenarbeit, ich musste zudem lernen mich von manchen Texten zu verabschieden.

derStandard.at: Sie sprechen im Bezug auf Ihre sportliche Karriere von persönlicher Handschrift und über allem stehender Authentizität. War dies auch beim Schreiben die Vorgabe?

Felix Gottwald: Natürlich, ich musste dieses Buch selber schreiben. Hätte ich es nur auf ein Tonband gequatscht und einem Ghostwriter übergeben, wäre die Botschaft nicht angekommen, zumindest nicht in der anvisierten Intensität. Mein Anliegen war es, meine Erfahrungen weiterzugeben. Das wollte ich ordentlich machen.

derStandard.at: Sie wollen mit Ihrem Buch inspirieren, wen glauben Sie ansprechen zu können?

Felix Gottwald: Es geht nicht nur um Sportler und schon gar nicht um die Gruppe der Nordischen Kombinierer, sondern um jedermann und jederfrau. Ich denke, die Leute sind bereit für Veränderung, um aus alten Mustern auszubrechen. Vieles ist auf Unehrlichkeit aufgebaut, in der Wirtschaft genauso wie im Sport. Das funktioniert auf Dauer nicht.

derStandard.at: Ihr Buch kommt ohne halblustige Weltcup-Anekdoten aus, die Rede ist vielmehr von Demut, Intuition und Innerer Mitte...

Felix Gottwald: Witzig sollte es nie sein, da hätte schon das Cover nicht gepasst. Ich wollte auch nie eine klassische Sportler-Biographie schreiben, sondern meine Werte in Form einer Geschichte, anhand eines einzigen Tages verdeutlichen.

derStandard.at: Als Sportler war es Ihnen nie wichtig, was andere über Sie und ihre Methoden gedacht haben. Wie geht es Ihnen als Autor?

Felix Gottwald: Als ich das Buch für den Druck freigab, war es für mich stimmig. Es schließlich in der Hand zu halten, war ein gutes Gefühl. Wie eine Medaille. Die Medaille für sich ist nichts, aber man weiß, welche Arbeit dahintersteckt.

derStandard.at: Die Medaille ist also das Buch und nicht die Verkaufszahl?

Felix Gottwald: Genau, ich wollte nie eine Medaille gewinnen, sondern nur als Erster über die Ziellinie laufen und etwas ausströmen. Mit dem Buch ist es ähnlich: es muss kein Bestseller sein, ich möchte nur etwas weitergeben und vielleicht eine Bewusstseinsänderung bei den Lesern bewirken.

derStandard.at: Sind manche Sachen nicht zu vereinfachend beschrieben? Sie sagen zum Beispiel: "Würde sich jeder auf dieser Welt selbst lieben, gäbe es wohl keine Kriege".

Felix Gottwald: Wenn man sich selber liebt, hat man keinen Drang Macht auszuspielen oder gar zu töten. Aber ich möchte betonen: im Buch geht es nur um meine Sichtweise. Leider Gottes ist der Mensch ein Getriebener, der immer mehr verdienen will und nach immer mehr Macht strebt. Warum gehen wir nicht einfach hackeln, um die Familie zu ernähren?

derStandard.at: Muss man nicht auch ein Getriebener sein, um olympisches Gold zu holen?

Felix Gottwald: Natürlich, aber nur mit der Triebfeder des Geldes wird man die Medaille nicht gewinnen. Für mich war Geld nie eine Motivation, davon hat man gar nichts. Man macht sich nur Sorgen, dass es weniger wird.

derStandard.at: Kann man den Satz "Jede Krankheit hat ihren Sinn" tatsächlich so stehen lassen?

Felix Gottwald: Eine harte Aussage, ich habe mir lange überlegt, ob ich das so schreiben soll.

derStandard.at: Kommt es nicht auch auf die Schwere der Krankheit und den Betroffenen an?

Felix Gottwald: Nehmen wir Krebs her, da lasse ich diese Aussage stehen. Eine Zelle verändert sich erst, wenn es keinen anderen Ausweg mehr gibt. Man kriegt zuvor oft Hinweise.

derStandard.at: Und was ist mit Kindern?

Felix Gottwald: Da sehe ich nur die Rolle, dass es jemandem anderen etwas aufzeigt oder eine Botschaft vermittelt.

derStandard.at: Ein harter Standpunkt.

Felix Gottwald: Brutal hart und kaum tragbar. Aber wie gesagt: das ist nur meine Sichtweise.

derStandard.at: Sie haben als Sportler strikte Trainingspläne oder gar sportmedizinische Tests abgelehnt. Braucht es in dieser Situation überhaupt noch einen Trainer?

Felix Gottwald: Ja, weil der Trainer nicht nur Trainingspläne schreibt sondern vor allem Manager ist. Er organisiert die Reisen, die Hotels und hält viel von einem fern. Gerade die Zeit in Finnland war immer eine heiße Phase, der logistische Aufwand ist nicht zu unterschätzen, da kann man als Sportler glücklich sein, wenn man sich auf alles verlassen kann.

derStandard.at: Warum eigentlich die strikte Ablehnung sportmedizinischer Untersuchungen?

Felix Gottwald: Die Werte werden immer aus dem Zusammenhang gerissen. Irgendwann hat sich die Medizin Ober- und Untergrenzen, gute und schlechte Werte ausgedacht. Alles schön und gut, aber der ein oder andere Wert bringt einen nicht nach vorne und die Gesamtheit wird in der Medizin nicht betrachtet. Man gewinnt nicht wegen einer maximalen Sauerstoffaufnahme von achtzig Litern, sondern weil man am letzten Berg die Gegner abhängt. Das Warum war mir immer Blunzn.

derStandard.at: Gehen gute Sportler verloren, weil sie nicht die notwendigen Werte mitbringen?

Felix Gottwald: Das passiert sicher. Man setzt auch viel zu oft auf Sportler mit Top-Werten, die im Rennen nie etwas zusammenbringen. Alle trainieren etwa gleichviel und im Wettkampf sind doch immer dieselben vorne. Und das entscheidet sich nicht bei den Werten.

derStandard.at: Sondern?

Felix Gottwald: Bei mir hat es sich im Bauch entschieden. Das Selbstvertrauen, die notwendige Leistung am Tag X abrufen zu können. Ich kenne Beispiele aus dem Langlauf, da wurden jahrelang Leute nur aufgrund ihrer Werte mitgeschleppt.

derStandard.at: Muss man also das ganze Rekrutierungssystem des ÖSV in Frage stellen?

Felix Gottwald: Nein, weil es grundsätzlich funktioniert. Aber es wäre wichtig für manches offener zu werden und nicht nur auf die Schulmedizin zu vertrauen.

derStandard.at: Fühlten Sie sich beim ÖSV in Sachen Alternativ-Medizin missverstanden?

Felix Gottwald: Der ÖSV ist eine riesige Institution und die Erfolge sprechen für sich. Aber es kann immer besser werden und das sollte es auch. Man erwartet sich, dass alles nachweisbar ist – das geht aber im Spitzensport nicht immer.

derStandard.at: Sie sagen, der ÖSV versucht den Sportlern zu viel Verantwortung abzunehmen. Wie schwierig war es ihren persönlichen Weg innerhalb des Verbands durchzusetzen?

Felix Gottwald: Ich bin oft genug auf die Nase gefallen, so zum Beispiel bei der WM 1999 in der Ramsau. Schon damals lehnte ich Untersuchungen ab, weil ich sie für verschwendete Zeit hielt. Aber ich wusste: wenn es nicht funktioniert, bin ich der Trottel. So war es im Endeffekt auch. Später durfte ich mir natürlich mit jeder Medaille mehr Freiheit nehmen.

derStandard.at: Setzt man sich nicht sich einem erhöhten Risiko aus, wenn man nicht den vorgegebenen Weg geht und mehr Eigenverantwortung übernimmt?

Felix Gottwald: Jein. Ist man erfolgreich, stimmt sowieso alles. Und ist man es nicht, macht man ohnehin alles falsch. So klar ist das im Sport leider gezeichnet.

derStandard.at: Das Thema Ausreden ist damit wohl auch erledigt?

Felix Gottwald: Gott sei Dank. Sonst suche ich als Vorletzter die Verantwortung beim Trainer.

derStandard.at: Ist es für jemanden, der wie Sie Eigenverantwortung predigt, nicht extrem schwer Verantwortung an Service-Leute oder andere Arbeitskollegen abzugeben?

Felix Gottwald: Ich muss da sensibler werden, man muss auch Sachen abgeben können. So kann man sich auch Freiraum schaffen. Vieles kann man delegieren, die relevanten Entscheidungen muss man aber selber treffen.

derStandard.at: Sie haben im Training immer auf ihre Intuition gehört. Besteht nicht die Gefahr, dass die Disziplin darunter leidet?

Felix Gottwald: (lacht) Wenn man sich denkt: der Schweinsbraten ist das Beste für mich, muss man ein paar Mal laufen gehen, um sich vom Gegenteil zu überzeugen.

derStandard.at: Sie haben im Laufe ihrer Karriere nicht nur "Nein" zum Schweinsbraten gesagt, sondern auch etliche Einladungen abgelehnt. Mutet man Spitzensportlern zu viele Verpflichtungen auf Kosten der Regeneration zu?

Felix Gottwald: Man tut jedem einen Gefallen, nur sich selber viel zu selten. Da ist es wichtig auch mal "Nein" zu sagen. Das musste ich lernen.

derStandard.at: Damit macht man sich aber nicht nur Freunde.

Felix Gottwald: Natürlich. Man macht sich aber auch wenig Freunde, wenn man bei jedem Event dabei war und dann 37. bei der WM wird. Besser man hat zehn Leuten einen Korb gegeben. Die freuen sich dann auch mehr, wenn sie im Österreicher-Haus eine Medaille feiern können.

derStandard.at: So wie bei den für Sie sehr erfolgreichen Winterspielen von Turin, von denen Sie selber behaupten: "Doping war das zentrale Thema". Schmerzte es sehr, dass Ihre Erfolge damals in den Hintergrund rückten?

Felix Gottwald: Es war Wahnsinn. Turin waren die erfolgreichsten Spiele für den ÖOC und übrig blieb der Doping-Skandal. In jedem Interview werde ich auf Doping angesprochen, es geht leider nicht mehr ohne: Sport ohne Doping ist mittlerweile genauso wenig vorstellbar wie Wirtschaft ohne Betrug. Letzthin meinte jemand zu mir: "Das selbe hat auch Bernhard Kohl zu mir gesagt". Was soll ich jetzt tun? Soll ich ihm einen Schauspielpreis geben?

derStandard.at: Hätte er auch nicht verdient. War Turin für Sie der logische Abschluss Ihres vorherigen Weges? Und hätte dieser Weg auch ohne Gold Sinn gehabt?

Felix Gottwald: Turin war tatsächlich die Bestätigung, es hat für mich nicht anders kommen können. Von den Goldmedaillen allein könnte ich aber nicht ewig profitieren, vom persönlichen Weg dorthin schon.

derStandard.at: Nordische Kombination bedeutet für Sie "weit springen und schnell laufen". Hat es überhaupt irgendeine Bedeutung dies zu beherrschen?

Felix Gottwald: Nein, es ist vollkommen uninteressant wie weit ich springe oder wie schnell ich laufe. Es ist auch egal, was in einem von Millionen Büchern steht. Es ist aber wichtig, eine Aufgabe und Ziele im Leben zu haben, sich begeistern zu können und sich in etwas reinzuknien. Und sei es noch so eine Lappalie, es muss einem nur selber taugen. Ich habe mich eben in der Nordischen Kombination wiedergefunden.

derStandard.at: Fällt man dann nach der aktiven Karriere nicht...

Felix Gottwald: ...in ein tiiiiefes schwarzes Loch? Nein. Ich wollte mich verändern und das bedeutet im Spitzensport den Rücktritt. Dann gilt es sich neuen Projekten zu widmen.

derStandard.at: Das Buch ist geschrieben. Was ist Ihr nächstes Projekt?

Felix Gottwald: Gewisse Sachen verlieren ihre Kraft, wenn man frühzeitig darüber spricht. Aber es geht wieder darum, etwas zu bewegen. (Philip Bauer; derStandard.at; 1. Dezember 2008)