Ein kurdischer Junge aus James Longleys Dokumentarfilm "Iraq in Fragments".

Foto: This Human World

Wien - Zwei Männer ringen miteinander am Boden. Kommt ein Passant hinzu und fragt: "Zu welchem der beiden hält Gott?" Sagt ein anderer, der dem Treiben interessiert zuschaut: "Gott ist immer auf der Seite von demjenigen, der gewinnt." Das Gleichnis, das sich auch auf ungleich größere Konflikte anwenden ließe, steht am Ende von Iraq in Fragments, einem Dokumentarfilm des US-Amerikaners James Longley. Ein älterer Kurde, der in seinem Leben zu viele Versprechungen gehört hat, die uneingelöst geblieben sind, erzählt es einem Familienmitglied.

Der 2007 Oscar-nominierte Iraq in Fragments ist einer der Filme, die bei This Human World, dem erstmals in Wien veranstalteten Menschenrechts-Filmfestival (2. - 12. 12.), zu sehen sein werden. Anlässlich des 60. Jahrestags der Erklärung der Menschenrechte hat man eine Auswahl an Spiel-, Animations- und Dokumentarfilmen zusammengestellt, die sich mit der Würde des Menschen in globalen Krisengebieten auseinandersetzen. Eintritt (und Spenden) des Festivals kommen humanitären Projekten zugute.

Iraq in Fragments besteht aus drei Teilen, die jeweils einer Bevölkerungsgruppe des Landes gelten. Ihre ethnisch-religiösen Spannungen sind nach dem US-Einsatz eher größer als geringer geworden. Rund um einen Jungen, der in Bagdad in einer Autowerkstatt aushilft, gibt es einige Gelegenheiten, die Politikverdrossenheit der Sunniten zu verhandeln; in Nadschaf begegnet man einem Angehörigen der schiitischen Miliz von Muktada al-Sadr, die mit Vehemenz ihre religiösen Auffassungen durchzusetzen versuchen; im dritten Teil befasst sich Longley mit der Enttäuschung kurdischer Bauern im Norden des Landes.

Der Film erhebt nicht den Anspruch, allgemeingültige Aussagen über den Irak zu treffen - jeder Teil ist in sich kohärent. Longley macht seine Position vor allem mit stilistischen Hervorhebungen deutlich: Während er den Jungen seine Geschichte selbst aus dem Off erzählen lässt, geht er bei den Anhängern von al-Sadr merkbar auf Distanz - obwohl er einen ihrer Einsätze, der "illegalen" Alkoholverkäufern gilt, wie ein Kriegsreporter verfolgt. Insgesamt ist Iraq in Fragments ein gutes Beispiel für einen Film, der ein humanitäres Anliegen mit einem ästhetischen Konzept zu verbinden vermag.

Zwei andere Dokumentaristen gehen traditionellere Wege, wenn sie zu aufmerksamen Beobachtern geschlossener Zirkel werden - mit eindringlichem Effekt. Dem chinesischen Filmemacher Zhao Liang ist es in Crime and Punishment gelungen, einer Polizeitruppe an der Grenze zu Nordkorea bei ihrer alltäglichen Arbeit auf die Finger zu schauen. In den langen Einstellungen wird deutlich, mit viel Willkür die Beamten gegen Kleinkriminelle vorgehen. Ein angeblicher Taschendieb, der unter Sprachproblemen leidet, soll etwa unter Anwendung von Gewalt geständig werden.

Der mehrfach prämierte Film Malon 9 Kohavim des Israelis Ido Haar begleitet wiederum palästinensische Schwarzarbeiter, die am Ausbau der israelischen Planstadt Modi'in mitwirken - immer in der Angst, entdeckt und abgeschoben zu werden. Haar protokolliert das soziale Miteinander, die Intimität dieser unsichtbaren Menschen - und wie von selbst gewinnen die Umrisse eines schwelenden Konflikts Konturen. Auf welcher Seite Gott steht, diese Frage stellt sich in diesen beiden Filmen gar nicht mehr. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD/Printausgabe, 02.12.2008)