Seiner Ansicht nach stehen nur die Skeptiker im Regen: Der streitbare Klimaforscher Stefan Rahmstorf glaubt an Klimaschutzmaßnahmen und an ihre Bedeutung für das Wirtschaftswachstum.

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STANDARD: Sie sind bekannt dafür, dass Sie recht heftig werden können, wenn die sogenannten Klimaskeptiker auf den Plan treten.Was werfen Sie ihnen denn konkret vor?

Rahmstorf: In der öffentlichen Diskussion gibt es einige wenige, die mit wirklich falschen Behauptungen versuchen, die Rolle des Menschen beim Klimawandel klein zu reden oder zu bestreiten. Es ist ganz klar belegt, dass der Mensch für die globale Erwärmung verantwortlich ist. Die Wissenschaft dahinter ist auch nicht ganz neu. Dass Kohlendioxid ein Treibhausgas ist, das die Energiebilanz unseres Planeten verändert und zu einer Aufheizung führt, war schon im 19. Jahrhundert bekannt.

STANDARD: Kürzlich haben Klimaforscher aus Kiel im Fachmagazin "Nature" Daten publiziert, nach denen es derzeit eine Atempause bei der globalen Erwärmung gibt, die bis 2015 andauert. Sie haben gleich 2500 Euro als Wetteinsatz geboten, dass diese Prognose falsch ist. Sind die Kollegen auch Scharlatane?

Rahmstorf: Nein, das sind seriöse Kollegen. Und da geht es auch gar nicht um den Einfluss der Menschen auf das Klima, sondern um natürliche Schwankungen, die es im Klimasystem rund um den langfristigen Trend zur Erwärmung immer gibt. Es geht um die Frage, ob wir heute in der Lage sind, solche natürlichen Fluktuationen im Klima auf einer Zeitskala von zehn bis zwanzig Jahren vorherzusagen. Ich denke nicht.

STANDARD: In welchem Zeitrahmen kann so eine natürliche Schwankung ablaufen? Ist es ausgeschlossen, dass wir uns jetzt hundert Jahre in einer Phase der natürlichen Erwärmung befinden?

Rahmstorf: Das kann man ausschließen. Jeder Klimawandel hat seine Ursache. Und die liegt in der Strahlungsbilanz unseres Planeten. Die Energieerhaltung ist nun mal der erste Hauptsatz der Thermodynamik. Wenn das System wärmer werden soll, muss ich ihm Energie zuführen. Die einzige alternative Ursache außer den Treibhausgasen wäre die Intensität der Sonnenstrahlen, die die Erde erreichen. Wir messen das in Watt Heizleistung pro Quadratmeter Erdoberfläche. Doch hier zeigen die seit den 70er-Jahren durchgeführten Satellitenmessungen, dass wir uns zur Zeit auf einem Allzeit-Tief befinden. Der Effekt der schwachen Sonnenstrahlung ist jedoch zu klein, um die globale Erwärmung nennenswert abzubremsen.

STANDARD: Was sagen Sie denn jenen Optimisten, die beim Klimawandel vor allem an schönes Wetter denken?

Rahmstorf: Einige positive Effekte der Erderwärmung gibt es sicher. Vor allem, wenn man in kälteren Gegenden wohnt. Die negativen Auswirkungen werden aber überwiegen. Wir haben uns seit Jahrtausenden auf das jetzige Klima eingestellt. Das gilt sowohl für die Landwirtschaft als auch für die Infrastruktur. An sich wäre ein Meeresspiegel, der zehn Meter höher ist, ja nicht schlechter als der jetzige Meeresspiegel. Doch wurden eben leider während der letzten Jahrtausende sehr viele Städte entlang der Küstenlinie gebaut.

STANDARD: Merkt man jetzt schon einen Anstieg des Meeresspiegels?

Rahmstorf: Der Meeresspiegel ist seit 1880 um zwanzig Zentimeter angestiegen. In den Jahrhunderten und Jahrtausenden davor war der Meeresspiegel immer weitgehend konstant bzw. ist sogar langsam abgesunken. Der aktuelle Anstieg nährt sich zu 60 Prozent durch das schmelzende Eis Grönlands, der Antarktis und der Gebirgsgletscher. Die restlichen 40 Prozent beruhen auf der Ausdehnung des Wasservolumens bei Wärme.

STANDARD: Vergangene Woche hatte in Amsterdam der Film "Not Evil Just Wrong" Premiere, in dem auf aggressive Weise gegen Al Gore und andere Warner vor der Klimakatastrophe Meinung gemacht wird. Sie würden die Welt aus egoistischen Motiven in eine neue Steinzeit treiben und mit Panikmache Millionen von Arbeitsplätzen vernichten. Ihre Meinung dazu?

Rahmstorf: Klimaschutz-Maßnahmen sind nicht wirtschaftsfeindlich, im Gegenteil. Die Amerikaner sollten ihrem künftigen Präsidenten zuhören, der gerade über den Klimaschutz, erneuerbare Energien und Investitionen in Energie-Effizienz Millionen von Jobs schaffen will. Bis jetzt war es immer so, dass eine technologische Revolution zu neuen wirtschaftlichen Chancen geführt hat. Ich sehe keinen Grund, warum es bei der Energierevolution nicht so sein sollte.

STANDARD: Die EU tritt dafür ein, den weltweiten Ausstoß von Treibhausgasen bis 2050 zu halbieren. Ist so ein globales Ziel überhaupt realistisch?

Rahmstorf: Die Zahlen für letztes Jahr zeigen nicht nur ein ungebremstes, sondern sogar ein beschleunigtes Wachsen der Treibhausgas-Emissionen. Wenn wir keinen globalen Gegentrend hinbekommen, wäre das schlimm. Davon wird es abhängen, ob wir bis zum Jahr 2100 zwei Grad über dem vorindustriellen Temperaturniveau bleiben oder bis zu sieben Grad darüber liegen. Für die Laien klingt das nach nicht allzu viel. Doch der Unterschied im Temperaturmittel der letzten Eiszeit und heute beträgt nur fünf Grad.

STANDARD: Das wäre auch das Ende der Landwirtschaft in vielen Gebieten.

Rahmstorf: Ja, wir haben in den letzten Jahrzehnten bereits eine Ausweitung der von extremer Dürre betroffenen Landflächen um das Doppelte. Und das wird etwa für die Menschen in Südeuropa eines der größten Probleme werden. Ein sichtbarer Begleiteffekt sind die Waldbrände in Spanien, Griechenland, aber auch in Kalifornien.

STANDARD: Ist die internationale Finanzkrise den Reformen hinderlich?

Rahmstorf: Das hängt entscheidend von der Politik ab. Kontraproduktiv wäre es, jetzt die Autoindustrie über Milliarden-Subventionen zu retten, ohne konkrete Ausrichtung, etwa auf Elektromobilität. Man sollte nicht die überkommenen Energien, die uns das Klimaproblem ja auch geschaffen haben, jetzt noch mit weiteren Geldern stützen. (Bert Ehgartner/DER STANDARD, Printausgabe, 03.12.2008)