Die ORF-Krise wird die Filmwirtschaft besonders hart treffen. Schon bisher hätten die Verantwortlichen alles darangesetzt, den österreichischen Film zu marginalisieren, meint ein Insider.
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Es hilft kein Herumreden, sagen wir es doch, wie es ist: Der ORF befindet sich in einem Todeskampf. Ob Braindead oder Wachtrauma ist egal, da alle Diagnosen zutreffen.
Anstatt die sinnlos sein Leben erhaltenden Maschinen endgültig abzustellen, um noch mehr Unheil zu verhindern, verfolgen Politik und Stiftungsrat mit klammheimlicher Freude das Spektakel und Umsichschlagen einer Führungsmannschaft.
Dass aber dieser übergewichtige Koloss eines der wichtigsten Kulturgüter, die uns die Neuzeit gebracht hat, unter sich erdrückt, davon spricht keiner. Die Rede ist vom österreichischen Film und dem ORF-Fernsehspiel.
Wurden schon bis jetzt alle vollmundigen Placebos, Stichwort: "Mittelerhöhung wenn Gebührenerhöhung", in skandalöser Weise nicht eingehalten, stehen wir nun vor einer langfristigen Rezession der österreichischen Filmwirtschaft. Was nützen da die von Frau Minister Schmidt in Aussicht gestellten 20 Millionen für das Österreichische Filminstitut und die Mittelanhebung beim Wiener Filmfonds? Nichts, wenn die dritte Säule einer derartigen Finanzierung plötzlich wegbricht. Das wird mit Sicherheit eintreten.
Alle, die ein wenig weiterdenken, müssen jetzt und sofort an die Barrikaden gerufen werden. Ziel: Die sofortige Abberufung der gesamten Führungsmannschaft und etlicher der Ressortverantwortlichen. Der ORF besitzt ja schon jetzt mehr weiße Elefanten als jeder Nationalpark, da machen einige mehr das Kraut auch nicht mehr fett.
Intendanten und Hauptabteilungsleiter wurden nicht nach fachlicher Tauglichkeit, sondern nach der politischen Farbenlehre bestellt. Deren Qualifikation in absteigender Reihenfolge: enormes Sitzfleisch, begnadete Durchtaucher. Aber kein Sinn für das Wesen des Films.
Warum sieht man einem Panikorchester noch länger zu, das angetreten ist, einen neuen und besseren ORF zu gestalten und in Bausch und Bogen versagt hat?
Verzocktes Silber
Weil die Falschen am entscheidenden Ort sitzen. Weil ein Programmdirektor gekürt wird, um sein bisheriges Gehalt rechtfertigen zu können. Weil der Verantwortliche für Spiel und Koproduktionen sein eigenes, unverdauliches Süppchen kocht und seine Adlaten neben ihrem Gehalt hochbezahlte Drehbücher schreiben und ein feines, lukratives Netzwerk zu den großen Produktionsfirmen aufbauten.
Anstatt sich in seriöser und umsichtiger Finanzgebarung zu üben, verzockt man in Panik das letzte Familiensilber in Risikoanlagen und anderen unwirtschaftlichen Unternehmungen. Alleine diese Beträge würden ausreichen, Film und Fernsehspiel in lichte Höhen zu bringen.
Warum nicht die sofortige Privatisierung von ORF 1 und Ö3 ? Jeder noch so miese ausländische Privatsender kann das bei weitem besser. Die dadurch frei werdenden Mittel würden die ständige Diskussion über Einsparungen schlagartig beenden und den Programmauftrag, endlich einmal nicht bis zur Unkenntlichkeit geschminkt, einlösen. Österreich hat hervorragende Medienfachleute im In- und Ausland. Diese wüssten, wo es lang geht. Da herrscht kein Mangel.
Es ist unerträglich, dass größtenteils darüber berichtet wird, was Printmedien schon längst vorher brachten, und wir es kaum erleben dürfen, dass die Redaktion Brandheißes nach dem Erfolgsmotto "We have the news" als Erste zur Sprache bringt.
Es ist unerträglich, wie oft journalistische Objektivität unter die Räder kommt, um die regierenden Parteien bei Stimmung zu halten. Es ist unerträglich, dass in den "art-genossen" vielfach Günstlinge der Redaktion und des Hauses zum Zug kommen.
Es ist unerträglich, dass im euro-film, nächtens versteckt, Ladenhüter anstelle echter Perlen serviert werden. Es ist unerträglich, dass hochqualitative österreichische Kino-, TV- und Dokumentarfilme praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit nächtens gesendet werden. Es ist unerträglich, dass das personalstarke Fernsehspiel 2008 gerade mal zehn Produktionen auf Sendung schickt (Quelle AFC austrian film 08/09), während ich in den 70er- und 80-Jahren alleine schon bis zu 15 Produktionen entwickelte und verantwortete und die meisten der Privaten und öffentlich-rechtlichen Sender Deutschlands auch noch heute mit einem wöchentlichen TV-Spiel aufwarten können.
Nachwuchs im Hintertreffen
Es ist unerträglich, dass das Fernsehspiel es seit Jahren verabsäumt, für die von ihm entwickelten Stoffe Co-Partner zu finden, um so seine finanziellen Ressourcen und damit seine Kapazität zu erhöhen. Es ist unerträglich, wie die Verantwortlichen ein Trittbrettfahrer-artiges System an passiven Koproduktion entwickelt haben, die mit Österreich nichts zu tun haben und von minderer Qualität sind. Es ist unerträglich, dass der ORF sich 2008 nur an acht von 11 Kinofilmen, mit dem meistens geringsten Anteil, beteiligte und sich dessen noch rühmt. Nicht unerwähnt muss dabei bleiben, dass die von ihm ausgewählten Produkte Primetime-tauglich - also gefällig - sein müssen, was wiederum die innovativen und andere Wege beschreitenden jungen Filmemacher unterdrückt. Diese haben kaum die Chance, zum Zug zu kommen. Folge: Der dringend benötigte, begabte Nachwuchs gerät immer mehr ins Hintertreffen.
Es ist ebenso unglaublich, dass der ORF auf Perlen hochqualitativer Eigenproduktionen sitzt und diese nicht wiederholt werden, da hier meist zusätzliche Abgeltungen notwendig sind.
Es ist unerträglich, mitansehen zu müssen, wie unsere erfolgreichen, hochqualifizierten Dokumentarfilmer schlechte Sendeplätze bekommen und nie die Möglichkeit haben, auch spezielle Beiträge für den ORF zu gestalten. Eben weil die sogenannten Hausregisseure und Redakteure ihr Brot verdienen müssen und vielleicht ein Wagenhofer oder Glawogger nicht so politkonform sein wollen, wie man das unter dem Deckmantel "Objektivität" erwartet.
Es ist unerträglich, dass wir dies alles als Zwangsbeglückung bezahlen müssen, ohne kaum hinschauen zu wollen. Schlimm genug, dass der ORF ein Klima der Angst gegenüber denjenigen Kulturschaffenden geschaffen hat, die künstlerisch und finanziell von ihm ganz oder teilweise abhängig sind - und das sind die meisten - und die mit Recht fürchten müssen, "auf einer schwarzen Liste" zu landen. Schlimm genug - und nicht nur für mich -, schmerzlich erleben zu müssen, wie eine jahrzehntelange Aufbauarbeit den Bach runter schwimmt und fast wieder bei Null begonnen werden muss.
Schlimm genug, dass seit den "Oldies" wie Ulrich Seidl, Michael Haneke, Stefan Ruzowitzky u. a. kein neuer Talenteschub eingeläutet wurde, keine Visionen erdacht und umgesetzt wurden.
Unverständlich, dass der ORF keinen Rat der besten Köpfe ihrer jeweiligen Zunft hat, der mit Sitz und Stimme das jeweilige Vorgehen mitbestimmt und dessen Durchführung unterstützt und überwacht. Schlichtweg eine Chuzpe, an der wir - noch - lange leiden werden. (Wolfgang Ainberger/DER STANDARD; Printausgabe, 3.12.2008)