Gerfried Sperl diskutiert mit Vertretern des Gesundheitssystems: Welche Netzwerke existieren zwischen Ärzten und Pharmawirtschaft, wie objektiv ist Medizin wirklich?

Foto: Standard/Andy Urban

Buchautor Hans Weiss: "Verflechtungen aufdecken und Objektivität schaffen."

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Marcus Müllner, Ages PharmMed: "Wir brauchen unabhängige Stellen für Studien."

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Thomas Szekeres, Vizepräsident der Ärztekammer Wien: "Sind keine Komplizen."

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Claudia Wild, Leiterin des Ludwig-Boltzmann-Instituts HTA: "System hinterfragen."

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Hubert Dreßler, Präsident der Pharmig: "Den Rahmen gibt die Gesellschaft vor."

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Wien - Krankheit ist grundsätzlich eine missliche Lage. Wer sich schlecht fühlt, will einen Arzt, dem er vertraut, und ein Medikament, das hilft. Das Wort Korruption löst in diesem Kontext zu Recht Irritationen aus und verunsichert - zum Montagsgespräch im Haus der Musik hatten sich fast 200 Gäste eingefunden. "Korrupte Medizin - wir haben ein Fragezeichen hinter die beiden Worte gestellt", eröffnete Gerfried Sperl die Diskussion. Seine Gesprächspartner: Buchautor Hans Weiss, Hubert Dreßler, Vertreter der Interessenvertretung der pharmazeutischen Industrie (Pharmig), Thomas Szekeres, Vizepräsident der Ärztekammer Wien, Marcus Müllner von der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit und dort für die Zulassung und Sicherheit von Medikamenten zuständig, und Claudia Wild vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Health Technology Assessment, einer unabhängigen Instanz, die Kosten und Nutzen von Medikamenten für das Gesundheitswesen evaluiert.

Hans Weiss eröffnete provokant: Die wenigsten Medikamente seien innovativ, bei der Zulassung sei jede Form der Manipulation möglich, weil es keine Kontrollinstanzen für die Pharmawirtschaft gäbe, und überhaupt bestünde der überwiegende Teil aller Arzneimittel aus altbekannten Substanzen, die geringfügig verändert mit hohem Marketingaufwand als etwas Neues verkauft würden.

Prinzip Marktwirtschaft

Dreßler konterte für seine Branche: Weiss manipuliere, indem er Fakten interpretiert, ziehe generell Schlüsse, obwohl er für seine Recherche überhaupt nur auf drei pharmainternen Veranstaltungen war, und ignoriere, dass die gesamte Branche in den vergangenen Jahren sich freiwillig einem Verhaltenskodex unterwirft, der Korruption, die laut Dreßler früher tatsächlich gang und gäbe war, unterbindet. "Aber wir sind eine marktwirtschaftlich organisierte Branche. Deshalb dürfen wir uns auch die Instrumente des Systems wie Marktforschung und Marketing zunutze machen", verteidigte Dreßler. Sein Nachsatz: In der früheren Sowjetunion wurden kaum Medikamente entwickelt.

Schöne Vorsätze seien Verhaltenscodices, konstatiert Claudia Wild, aber "selbstverständlich gibt es eine Pharmalobby, die Druck ausübt, ganz konkret und kürzlich auch wieder auf unser Institut", sagt sie. Die ganze Pharmawirtschaft zu desavouieren sei aber nicht zulässig, denn sie sind Teil eines von der Gesellschaft so etablierten Systems, das Medikamentenentwicklung in die Privatwirtschaft ausgelagert hat und keine Gelder für unabhängige Kontrollinstanzen aufgewendet hat. Der Pharmawirtschaft das anzukreiden sei falsch, so Wild. "Die Studien, die aus dem akademischen Bereich kommen, sind im Gegensatz zu denen von Pharmafirmen miserabel", konstatierte Müllner aus Sicht der Zulassungsbehörde.

Innovation als Risiko

Dass die Innovationskraft der Pharmawirtschaft massiv abgenommen hat, sei kein Geheimnis, aber Weiss' Vorwürfe, auch die Zulassungsbehörden wie die europäische EMEA sei von der Pharmawirtschaft manipuliert, stimmt nicht. "Ungebührliche Einflussnahme oder Gefälligkeitszulassungen sehe ich nicht", so Müllner, der mehrere Jahre in London bei der EMEA gearbeitet hat. Aus Sicht der Behörden gälte es immer die Wirkung und die Sicherheit von Medikamenten in eine Balance zu setzen, und jedes Medikament, vor allem wenn es innovativ und damit in seiner Wirkung auf breite Bevölkerungsgruppen nicht erprobt ist, sei per se riskant ist, das dürfe man nie vergessen.

Sehr emotional reagierte Thomas Szekeres, Vertreter der Ärztekammer Wien, auf Weiss' Vorwürfe, Ärzte seien Komplizen der Pharmawirtschaft. "Ich wehre mich gegen Pauschalverurteilungen", donnerte er. Es gäbe genaue gesetzliche Richtlinien und einen Ehrenrat, der gegen schwarze Schafe in der Ärzteschaft vorgeht. "Die Verteidigung des Status quo ist ein Reflex der Ärztekammer, es fehlt die Selbstreflexion", hielt Weiss entgegen. Szekeres konnte (auch auf Nachfrage des Standard am nächsten Tag) nicht beantworten, wie viele Ärzte vom Ehrenrat im letzten Jahr ins Visier genommen und verurteilt wurden. Ein konkretes Ergebnis des Abends war jedoch Szekeres' Zusage, man wolle die von Weiss erhobenen Vorwürfen gegen Siegfried Kasper, Vorstand der Psychiatrie der Medizinischen Universität, nachgehen. Weiss behauptet, Kasper hätte Interesse für eine fingierte, dezidiert unethische Studie an depressiven Patienten gezeigt.

Was Gerfried Sperl an diesem Abend dann allerdings noch interessierte, waren die Medikamentenpreise. Laut Weiss seien sie in Relation zu den Kosten der Grundinhaltsstoffe von Medikamenten viel zu hoch. "Warum verkaufen Sie Ihr Buch nicht um den Preis, den das Papier wert ist?", warf Szekeres ein. "Ihr Marketingaufwand ist doch auch nicht gering", setzte Dreßler noch darauf. Weiss' Rechtfertigung: "Mein Buch hat keine tödliche Nebenwirkung. Die Gewinnspannen der Pharmafirmen liegen zwischen 20 und 40 Prozent des Umsatzes."

Konsens erzielte die Runde mit ihrer Forderung an die Politik. "Die Öffentlichkeit muss Verantwortung übernehmen", forderte Müllner, das sei auch international ein Trend zu mehr Objektivität, der sich auf lange Sicht für die Gesellschaft finanziell auszahlen wird.

Noch mehr Transparenz

Denn dass die Pharmawirtschaft die Ärzte als Mittler zu den Patienten auch weiterhin brauchen wird, steht außer Frage. "Wie sonst soll die Wirksamkeit von Medikamenten in Studien bewiesen werden?", fragte Dreßler. Claudia Wild allerdings fordert, dass Ärzte, die für Pharmafirmen arbeiten und Studien durchführen, aus den Gremien, die Leitlinien für die Behandlung von Krankheiten festsetzen, verbannt werden sollten. Für Szekeres ist diese Forderung unverständlich. Einwurf Sperl: "In Österreich werden generell die kleinen Unvereinbarkeiten zu nachlässig betrachtet, und in Summe kann dadurch ein sehr zweifelhaftes Bild entstehen." An dieser Stelle klatschte das Publikum, denn dass Patienten keine Konsumenten sind und deshalb der Markt auch nur scheinbar frei ist, war allen Anwesenden bewusst.

Die abschließende Analyse lieferte Marcus Müllner, früher selbst Arzt am AKH: "Ärzte haben das Bedürfnis zu helfen, Kranke wollen Medikamente, das ist ein Faktum und tief kulturell verankert." Seine Forderung: Regulative müssten nicht strenger, sondern zielgerichteter implementiert werden. "Und die Gesellschaft muss sich ethisch schwierigen Fragen stellen", betonte Claudia Wild. Ein Beispiel: Will die Solidargemeinschaft einem Krebspatienten im Endstadium eine Lebensverlängerung um drei Wochen finanzieren, wenn das viele tausend Euro kostet? (Karin Pollack, DER STANDARD, Printausgabe, 3.12.2008)