"Durch die Lage, in der sich mein Volk befindet, wird, egal was ich in dieser Sprache ausdrücke oder wie ich es ausdrücke, alles zu einer politischen Aussage."

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Der tschetschenische Dichter Apti Bisultanov flüchtete während des zweiten Tschetschenienkrieges nach Europa. Seit 2002 lebt der Lyriker und ehemalige Politiker im Exil in Deutschland. Dort wurde sein Asylantrag 2007 zuerst abgelehnt. Erst nach dem öffentlichen Protest von DichterkollegInnen wurde seinem Antrag stattgegeben. Im derStandard.at-Interview spricht Bisultanov über Gedichte nach seiner persönlichen Katastrophe, seine Erfahrungen mit dem europäischen Asylwesen, Klischees in Österreich, Negativberichterstattung und den Krieg gegen Russland, der für ihn persönlich noch lange kein Ende hat.

derStandard.at: Nach Kriegen und Katastrophen ist es oft schwer, wieder Gedichte zu schreiben. Ging es Ihnen nach den Erlebnissen in Tschetschenien und ihrer Flucht ähnlich?

Bisultanov: Man kann solche Katastrophen als Dichter sehr selten überleben. Ich bin zum Glück einer davon. Ich habe sehr viele Transformationen erlebt, wurde mehrfach neu geboren. Manchmal glaube ich, dass ich vor dem Krieg ein anderer Menschen war, als ich jetzt bin.

derStandard.at: Sie sind Dichter und waren in Tschetschenien politisch tätig. Mussten Sie sich gegen die Politik entscheiden, um sich für die Kunst zu entscheiden?

Bisultanov: Das Problem besteht darin, dass mein Krieg nicht zu Ende ist. Nur meine Art der Teilnahme hat sich verändert. Dass ich unter diesen Umständen in Europa gelandet bin, hat mir die Möglichkeit gegeben, zurück zur Lyrik zu finden. Ich war dazu gezwungen, an diesem tschetschenischen Kampf teilzunehmen. Ich habe aber nie bereut, da hineingezogen worden zu sein. Mein ganzes Leben war dem Kampf für dieses Leben als Tschetschene gewidmet.

derStandard.at: Immer weniger Tschetschenen erhalten in Österreich Asyl, obwohl der Flüchtlingsstrom nicht kleiner wird.

Bisultanov: In Europa werden die Tschetschenen nicht als Kriegsflüchtlinge anerkannt, weil ja der Krieg offiziell beendet ist. Die Flüchtlinge sind von Anfang an rechtlos und jeder von ihnen muss einzeln beweisen können, dass sein Leben in Gefahr ist. Die russische Propaganda trägt ihres dazu bei, dass die Einstellung Europas gegenüber den tschetschenischen Flüchtlingen immer schlechter wird.

derStandard.at: Haben Sie Vorgänge in Kärnten verfolgt, als der Landeshauptmann Asylsuchende ohne Asylbescheid "abschieben" ließ?

Bisultanov: Zynismus und Ungerechtigkeit sind für mich keine Neuheit. Es gibt leider auf der ganzen Welt ignorante Einstellungen gegenüber Flüchtlingen. Und die Tschetschenen sind die rechtlosesten von allen. Ich habe Aufnahmen über die unhaltbare Situation in österreichischen Schubgefängnissen gesehen. Die Frau, die diesen Film über Flüchtlinge gedreht hat, erzählte mir, dass sie mit einem Polizisten darüber diskutierte und der ihr antwortete: "Zeigen Sie mir doch erst einen Tschetschenen, der arbeitet." Ich frage Sie, wie soll jemand arbeiten, dem das Gesetz verbietet zu arbeiten?

derStandard.at: Hatten Sie in Deutschland Probleme, Asyl zu bekommen?

Bisultanov: Ja, aber die waren auf meine Biografie zugeschnitten. Mein erster Bescheid war ein abschlägiger. Man sagte, ich würde die nationale Sicherheit gefährden. Eine große Protestwelle von Schriftstellern und anderen aus intellektuellen Kreisen in Deutschland war die Folge. Ohne weiteres Verfahren wurde das Urteil dann zurückgezogen. Was mir wiederum bestätigte, dass hier in Europa die öffentliche Meinung ernst genommen wird.

derStandard.at: Der Bescheid war vermutlich wegen ihrer politischen Aktivitäten im Widerstand negativ.

Bisultanov: Ja, natürlich. Ich war Regierungsmitglied der Widerstandsregierung in Tschetschenien. Aber das wäre kein Grund für eine Ablehnung gewesen, denn ich habe mir nichts zu Schulden kommen lassen.

derStandard.at: Die Radikalisierung in Tschetschenien wird in letzter Zeit aber immer stärker.

Bisultanov: Der tschetschenische Widerstand war immer bereit für eine politische Lösung und das wurde auch immer wieder gesagt. Das Resultat war aber, dass viele Tschetschenen tot sind oder flüchten mussten. Ich befürchte, es wird auch noch eine weitere Radikalisierung geben. Nicht nur in Tschetschenien, sondern aus den selben Gründen in Dagestan, in Inguschetien oder in Ossetien. Die Georgienkrise hat dazu beigetragen.

derStandard.at: Wie geht es Tschetschenen in der Diaspora und was sind Ihrer Meinung nach die größten Schwierigkeiten?

Bisultanov: Ich persönlich habe keine großen Schwierigkeiten bei der Anpassung gehabt. Tschetschenen sind allgemein Leute, die sich leicht anpassen können, solange sie in einer demokratischen Gesellschaft leben dürfen. Problematisch ist ab und zu höchstens die Tatsache, dass Tschetschenen Moslems sind. Und zwar deswegen, weil vielfach in der Zielbevölkerung Moslems mit Terroristen gleichgesetzt werden. Ich weiß, dass dieses Vorurteil nicht direkt geäußert wird, aber ich bemerke, dass es da ist.

derStandard.at: Sie können ja nicht mehr nach Tschetschenien zurück. Was geht Ihnen am meisten ab?

Bisultanov: Das ist leicht zu beantworten. Ich liebe diesen Baum und werde ihn mein Leben lang lieben. Eine einsame, wilde Weide, die über einer Schlucht am Rande des Dorfes in dem ich gelebt habe steht. Ich liebe diesen Baum wegen seiner Blätter, während andere Menschen für gewöhnlich Bäume aufgrund ihrer Früchte lieben. Es ist wunderschön, wenn der Baum seine Blätter abwirft und dieser Baum ist sowohl ein Symbol für mich und als auch für die Transformation, die in mir vorgegangen ist.

derStandard.at: In Ihrer dichterischer Sprache spielt die Aufnahme und Bewahrung des alten tschetschenischen Sprachgebrauchs eine große Rolle. Eine politische Aussage?

Bisultanov: Durch die Lage, in der sich mein Volk befindet, wird, egal was ich in dieser Sprache ausdrücke oder wie ich es ausdrücke, alles zu einer politischen Aussage. Die Sprache befindet sich am Rande des Aussterbens. Zur Zeit der Deportation der Tschetschenen standen auf die Verwendung dieser Sprache, auch als Lied oder Gebet, Haftstrafen. Vor 1944 gab es 500.000 Tschetschenen, ungefähr die Hälfte starb in Kasachstan an Hunger. Die Hälfte der Sprachträger.

derStandard.at: Sie haben vor Jahren eine Kinderzeitschrift herausgegeben. Welches Fazit soll ihrer Meinung nach aus diesem Konflikt an die nächste Generation in Tschetschenien weitergegeben werden?

Bisultanov: Lernen. Das sage ich nicht nur den Kindern sondern auch den Erwachsenen. Nicht nur, um die Situation der Tschetschenen vergleichbar zu machen. Tschetschenen waren viel zu lange von freier Bildung abgeschnitten. (Manuela Honsig-Erlenburg, derStandard.at, 9.1.2009)