Wien - Wenn jemand auf den Busch klopft, muss er mit einem rechnen: Dort wohnt jemand, dem das gar nicht so recht ist. Vorsicht, der Dschungel schlägt zurück!
Der deutsche Sänger Peter Fox hat über diesen Sachverhalt ein ganzes Album geschrieben. Sein seit zwei, drei Monaten die deutschen und österreichischen Charts regierendes Album Stadtaffe erzählt die gute alte Geschichte vom ins Eck und bald aus der Reserve getriebenen Primaten, wie wir sie seit King Kong kennen. Er siedelt diesen an und für sich gerechten, zumindest nachvollziehbaren Amoklauf aus unerwiderter Liebe, individueller, wenn nicht gar sozialer Beengtheit und schlichtem Blutrausch allerdings nicht in der popkulturell etwas abgelebten Gotham City, sondern in seiner Heimatstadt Berlin an. Und zwar auf tatsächlich neue und aufregende Weise.
Die alte Tante Berlin
Dass es auf dieser Welt nicht viele Städte gibt, die für zwei, drei Handvoll Songs Stoff hergeben, außer jenem, den man dann meist in der Nähe von Bahnhöfen bekommt, ist spätestens seit David Bowie bekannt. Dessen Trilogie Low, Heroes und Lodger - beruhend auf dem Wagemut der Verzweiflung, auf Endzeitstimmung und dünn machenden Drogen - schildert die zerschlissene alte deutsche Weltstadt-Tante Berlin bis heute exemplarisch als Klischee. Eines zwischen Zusammenbruch, Tanz auf dem Vulkan und sich immer wieder aufrappelndem Spielplatz für Menschen auf der Flucht. Auf der Flucht vor der Provinz. Neben New York gibt sich die Weltjugend immer nur in Berlin die volle Kante. Und wer dort dann - hoppala! - über diese hinausschlittert, der stürzt ab. Heute kann nicht einmal mehr "die Mauer im Rücken so kalt" da noch Halt geben.
In Wien, einer Stadt, die es vor einem Vierteljahrhundert nur mit den im U4 geigenden Goldfischen von Falco zu so etwas Ähnlichem wie milder Relevanz bezüglich Ausschweifung oder wenigstens etwas loserer Sitten abseits von "Grinzing" , "ham" und "Bam" brachte, legt es auch Peter Fox entsprechend festgefügt in der Schablone an. Mit seinen auf Jamaika an der Spree basierenden Turbo-Reggae- und Dancehall-Beats brummt der Mittdreißiger in Sprechgesangsreimen Berliner Märchen aus uralten, aber nahe dem Kottbusser Tor immer noch grünen Zeiten:
"Komm aus dem Club, war schön gewesen / Stinke nach Suff, bin kaputt, is'n schönes Leben / Steig über Schnapsleichen, die auf meinem Weg verwesen / Ich seh die Ratten sich satt fressen im Schatten der Dönerläden ... Guten Morgen, Berlin, Du kannst so hässlich sein, so dreckig und grau, du kannst so schön schrecklich sein, deine Nächte fressen mich auf ..."
Die Bässe wummern zünftig in den Tiefen. Vier Marschtrommler, zwei Backgroundsängerinnen und jede Menge aus der Klassik entlehnte Streichersamples gestalten die Songs von Stadtaffe etwas erdiger als auf Platte. Es wird das harte, magenübersäuernde Leben der Nacht beschworen. Ebenso wie die Tatsache, dass man nach dem Ausnüchtern dann trotzdem wieder raus in die Clubs muss.
Peter Fox rehabilitiert sich mit diesem seinem Soloprojekt unerwartet und trifft mit Songs wie Alles Neu zu Recht in die Flanke der sogenannten breiten Masse. Als Frontmann seiner ursprünglichen Band, den Stadion- und Openair-geeichten Dancehall-Monstern Seeed, mit Dauerpräsenz und bis in die letzte Handbewegung durchchoreografierten Liveinterpretationen von Hits wie Dickes B, Dancehall Cabaleros oder Music Monks hatte man ihn künstlerisch eigentlich schon abgeschrieben. Von wegen: die erfolgreichsten Hits sind immer die besten.
Wie Fox in der Wiener Arena aber nun mit energetischer Show und zünftiger Musikarbeitermucke unter Beweis stellte, hat sich die Öffnung weg von der alten Beschwörung der immerwährenden Party hin zur nachträglichen Katerstimmung als Glücksgriff erwiesen. Klar, auch Peter Fox ist älter und kleinfamilienhaltiger und bürgerlicher geworden. Und der Stoffwechsel thront nicht mehr auf der Höhe der Zeit.
Schüttel deinen Speck
Mit optimistischen Liedern wie dem erwähnten Alles Neu ("Ich bin die Abrissbirne für die deutsche Seele ..." ) oder dem Idyll Haus Am See bildet Peter Fox dann aber auch im entscheidenden Moment ein Gegengewicht zu Kopfschmerzpolka und Nachdurstwalzer.
Dass zwischendurch die Hütte noch immer am Dampfen ist, wird der Mann dann auch beim Wienkonzert vor ausverkauftem Saal unter Beweis stellen. Schüttel Deinen Speck oder Zucker sind gewagte, wenn auch gelungene Nachstellungen jamaikanischer Angeber- und Einbrattechniken - wie man sie aus der Dancehall seit jeher kennt und schätzt. Unvernunft und Übermut tut manchmal auch dem lieben Vati gut. Man muss es wieder einmal erwähnen, weil es ja nie jemand glaubt: Alt heißt nicht automatisch klug werden. (Christian Schachinger / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4.12.2008)