Suljic: "Ich komme von hier, bin hier geboren, habe meine Kinder hier aufwachsen gesehen. Ich bin überzeugt, dass das Leben hier wieder funktionieren kann."

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Der bosnische Muslim Osman Suljic wurde im Oktober zum neuen Bürgermeister von Srebrenica gewählt. Er steht vor einer schwierigen Aufgabe. Die Gemeindekassen füllen sich nur langsam, die Arbeitslosigkeit liegt bei offiziellen 80 Prozent. Und unterschwellig existieren die Konflikte zwischen bosnischen Serben und bosnischen Muslimen nach wie vor. Suljic im derStandard.at-Interview über Rückkehrer und eine überpräsente Vergangenheit.

derStandard.at: Während des Krieges wurden tausende Muslime ihrer Gemeinde getötet oder vertrieben. Trotz der Traumata des Massakers kommen viele der Vertriebenen zurück.

Suljic: Es gibt nur wenige, die sagen, dass sie nie mehr zurück wollen, aber eine Voraussetzung dafür, dass die Menschen wieder kommen, ist, dass sie hier ihren Lebensunterhalt verdienen können. Nicht zuletzt deswegen ist es einer meiner Prioritäten, Wirtschaftslage und Infrastruktur in der Gemeinde zu verbessern. Aber die Gemeinde hat noch immer zu wenig Geld für Investitionen, obwohl unser Budget steigt. Aber weder die Republica Srpska noch die Regierung von Bosnien-Herzegowina kümmert sich um uns. Ich kann nicht sagen, wie es mit den Rückkehrern weitergeht. Fest steht, dass es immer noch drei verschiedene Flüchtlingslager gibt, wo insgesamt noch etwa 4600 Flüchtlinge aus Srebrenica leben.

derStandard.at: Welche Maßnahmen planen Sie gegen die hohe Arbeitslosigkeit von 80 Prozent?

Suljic: Das ist eine schwierige Frage. Wir müssen erreichen, dass sich wieder mehr Klein- und Mittelbetriebe ansiedeln. Wir suchen Investoren. Auch landwirtschaftlich gesehen gibt es noch viel Potenzial. Der Boden ist sehr gesund und fruchtbar, die Produkte, die hier hergestellt werden, von höchster Qualität.

derStandard.at: Im Jänner dieses Jahres hat es eine groß angelegte Investoren-Konferenz gegeben, bei der es auch viele Zusagen gab. Was ist seither hier passiert?

Suljic: Nicht viel. Aber eine slowenische Firma beginnt derzeit, erste Schritte für den Bau eines Betonwerks zu setzen, ein dafür vorgesehenes Gebäude langsam in Stand zu setzen. Wenn alles gut geht, gibt es nächstes Jahr 50 zusätzliche Arbeitsplätze.

derStandard.at: Srebrenica war vor dem Krieg ein Luftkurort mit einem großen Thermalbad, mit vielen tausend Gästen. Das Wasser ist noch da, die Anlage ist zerstört. Welche Pläne gibt es denn für Crni Guber?

Suljic: Diese Therme ist im Rahmen der staatlichen Privatisierung an einen Unternehmer gegangen, der sich aber nicht darum kümmert. Dieser neue Besitzer musste sich weder verpflichten, hier zu investieren, noch hat er eine Konzession bekommen. Der Ball liegt deshalb nun bei der Regionalregierung in Banja Luka. Ich selbst komme aus der Wirtschaft und die Türe für eine florierende Wirtschaft kann nur die Politik aufmachen.

derStandard.at: Wieso gibt es diesen Willen der Regionalregierung der Republika Srpska augenscheinlich nicht. Sehen Sie dahinter auch strukturelle Diskriminierung der Gemeinden mit muslimischen Stadtregierungen?

Suljic: Dazu kann ich nichts sagen. Ich weiß nicht genau, warum sich nichts bewegt, aber es ist eine Tatsache. Es ist ja nicht nur die Therme das Problem. Seit dem Ende des Krieges bekommt die Gemeinde keinerlei Anteil an überregionalen Steuern mehr. Die Kassen sind fast leer. Ich werde auf alle Fälle so schnell wie möglich Kontakte mit den Zuständigen in Banja Luka aufnehmen, um solche Themen zu klären.

Viel ist natürlich mit dem Geld der internationalen Organisationen passiert. Das Stromprojekt, das gerade läuft, ist zum Beispiel von der norwegischen Regierung finanziert. So dankbar wir für diese Art von Hilfe sind: Srebrenica muss langsam wieder aus eigener Kraft überleben können und die Gemeinde wieder Vertrauen in ihre Überlebensfähigkeit bekommen.

derStandard.at: Sie sind ein muslimischer Bürgermeister, der auch von den Expatriots aus Srebrenica gewählt wurden. Was tun Sie, um strukturelle Diskriminierung der Serben zu vermeiden und um Spannungen zwischen den Volksgruppen zu verhindern?

Suljic: Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich mich für alle ethnischen Gruppen hier einsetzen werde. Mein Gemeinderat ist gemischt, obwohl ich das laut Wahlergebnissen nicht so gestalten hätte müssen. Auch die Kommission, mit der ich nach Banja Luka gehe, wird eine gemischte sein.

derStandard.at: Warum sind Sie selbst zurückgekehrt?

Suljic: Ich komme von hier, bin hier geboren, habe meine Kinder hier aufwachsen sehen. Ich bin überzeugt, dass das Leben hier wieder funktionieren kann. Und ich will auch einen direkten Einfluss auf eine funktionierende, multiethnische Gesellschaft in Srebrenica. Die Vergangenheit ist vorbei. Außerdem haben mich mehrere politische Parteien gebeten, dieses Amt zu übernehmen und die werden schon wissen, warum. (Manuela Honsig-Erlenburg, derStandard.at, 18.10.2008)