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Gemeinsame Sprachübung: Frankreichs Außenminister Kouchner, sein russischer Kollege Lawrow und US-Staatssekretär Dan Fried drängen auf eine friedliche Lösung des Karabach-Konflikts.

Foto: EPA

Den Geist von Helsinki beschwören sie alle. Die Russen, die Amerikaner, die Deutschen, die sich immer irgendwie in der vernünftigen Mitte sehen, und selbst Eka Tkeschelaschwili, die junge Außenministerin aus Georgien, das einen Krieg hinter sich hat. Wenn ein Land schon einen neuen Sicherheitsvertrag für Europa vorschlägt, so sagt die Ministerin und nennt Russland gar nicht erst beim Namen, dann möge man erst einmal sicherstellen, dass dieses Land auch die alten Grundprinzipien der europäischen Sicherheit aufrecht erhält.

Die Schlussakte von Helsinki, der Geist des großen Entspannungsvertrags zwischen Ost und West und den neutralen Staaten von 1975, weht durch den Ministerrat der OSZE in der finnischen Hauptstadt. Nur setzen will er sich nicht. 50 Außenminister und ein weiteres halbes Dutzend Stellvertreter reden sich am Donnerstag, dem ersten Tag des Treffens, in einen Zustand geistiger Erregung, so scheint es, doch Entscheidungen über Weg und Ziel der neuen Sicherheitsdebatte vermögen sie nicht zu treffen. "Zu diesem Zeitpunkt gibt es mehr Fragen als Antworten", stellt Alexander Stubb fest, der finnische Außenminister, der den Ratsvorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in diesem Jahr führt.

Deutlicher als andere, mit der ihm eigenen sonoren, Aufmerksamkeit verlangenden Stimmlage, beschreibt Frank-Walter Steinmeier den Konflikt zwischen Russland und dem Westen, der im Krieg in Georgien im vergangenen August seinen dramatischen Ausdruck gefunden hat. Vom neuen Misstrauen spricht der deutsche Außenminister in seinem Redebeitrag, von "altem, konfrontativen Denken", das in Europa wieder spürbar werde.
Fehler des Westens

Seine Auffassung, dass auch EU und USA in den vergangenen Jahren Fehler im Umgang mit Russland machten, lässt Steinmeier nur durchblicken; "Perzeptionen"- die Art und Weise, wie Moskau etwa die Erweiterung von Nato und EU nach Osten wahrnahm -, so will der deutsche Minister verstanden sein, sind eben auch ernst zu nehmender Teil von Außenpolitik. Was bleibt, ist Verstörtheit im Westen und eine tiefsitzende Unzufriedenheit mit der OSZE, der EU und der Nato in Moskau: "Fast 20 Jahre nach dem Fall der Mauer erleben wir eine Welt auf der Suche nach neuer Ordnung."

Steinmeier plädiert für eine Reihe vertrauensbildender Maßnahmen, um das Verhältnis mit Russland wieder ins Lot zu bringen. Drei Menükarten hat er während des Mittagessens mit den Ministerkollegen vollgeschrieben. Man möge sich anstrengen, die regionalen Konflikte im OSZE-Raum zu lösen, insbesondere den Streit um Berg-Karabach, die armenische Enklave in Aserbaidschan, sagt Steinmeier. Ein Neuanfang bei der Abrüstung und der Rüstungskontrolle sei dringend, meint der Minister mit Blick auf den KSE-Vertrag, den Russland suspendiert hat und den Start-Vertrag zur Reduzierung atomarer Sprengköpfe, der Ende 2009 ausläuft. Und schließlich müsse der Nato-Russland-Rat endlich konkrete Ergebnisse bringen.

Irgendwann im Lauf des Tages beerdigen die Minister in Helsinki die Idee eines Sondergipfels der OSZE im nächsten Sommer. Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy hatte ihn beim EU-Russland-Gipfel im Vormonat vorgeschlagen. Die Staats- und Regierungschefs der 56 Mitgliedsstaaten sollten dort über Russlands Vorschlag eines neuen Sicherheitsvertrags, einer Art OSZE 2, beraten. Doch ein Gipfel, der ergebnislos oder im Streit endete, wäre noch schlechter als gar kein Gipfel, ist aus Delegationskreisen immer wieder zu hören. "Die Vorarbeiten sind nicht abgeschlossen", stellt Michael Spindelegger fest, der neue österreichische Außenminister, der gleichwohl Wien als Konferenzort für die Vorarbeiten anbietet.

Die russische Seite in Helsinki scheint darüber nicht aufgebracht. "Wir haben einen Prozess gestartet", sagt ein russischer Diplomat, "man hört uns zu, man stellt Fragen". Man erwartet auch etwas: Der Nachdenkprozess über einen neuen Sicherheitsvertrag soll in der gemeinsamen Abschlusserklärung stehen, die heute, Freitag, von den Außenministern angenommen werden müsste. (Markus Bernath aus Helsinki/DER STANDARD, Printausgabe, 5.12.2008)