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Der Wiener Karlsplatz, der seit Jahrzehnten einer der Treffpunkte der offenen Drogenszene ist, gilt als Tablettenumschlagplatz. Heroin ist hier kaum mehr im Spiel.

Foto: APA/Fohringer

Das Einstiegsalter bleibt konstant: Cannabis ab 14, Heroin ab 17

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Rudolf S. ist EDV-Techniker. Dreimal pro Woche geht er, noch vor seinem Weg ins Büro, in aller Früh zum Hausarzt und schluckt die verschriebene Ersatzdroge Substitol. Die Arbeitskollegen haben keine Ahnung davon, dass der 29-Jährige noch vor drei Jahren, bevor er in die Firma kam, schwer auf Heroin war. Weil er wegen seiner Vorstrafen und hohen Schulden nicht mehr ein und aus wusste, schleppte er sich damals zum Suchthilfeverein Dialog in der Wiener Hegelgasse. Es dauerte, bis er das oral konsumierte, retardierte Morphin, das im Gegensatz zum intravenös gespritzten Heroin keine "Flash"-Wirkung entfaltet, akzeptierte. Aber die Frage war: "Will ich leben oder vegetieren?" Dank professioneller Hilfe hat Rudolf S. derzeit Sucht und Leben wieder im Griff.

Geschlechtsspezifisch und altersmäßig entspricht Rudolf S. dem typischen Wiener Drogenabhängigen, der Kontakt zu einer Betreuungseinrichtung - von Ambulanzen bis Streetworkern - hat. Von den geschätzten 13.000 Heroinabhängigen in der Bundeshauptstadt nehmen 10.000 regelmäßig Hilfe in Anspruch. "Im internationalen Vergleich ein sehr hoher Wert", erklärt der Wiener Drogenbeauftragte und Allgemeinmediziner Alexander David. Rund 7300 Klienten befinden sich in einer Substitutionstherapie, weit mehr als die Hälfte davon erhalten retardierte Morphine. Jeweils 20 Prozent sind auf die Medikamente Methadon und Subutex eingestellt.

Mehr "Neueinsteiger"

Aus der am Donnerstag präsentierten Basis-Dokumentation über Wiener Drogenabhängige geht hervor, dass die Hilfseinrichtungen im Vorjahr um zehn Prozent mehr "Neueinsteiger" (1003 Personen) verzeichneten als 2006. Das Einstiegsalter blieb zwar konstant: ab 14 Cannabis, ab 17 Kokain und Heroin, ab 20 zusätzlich Beruhigungs- und Schlafmittel. Die Zahl von jungen Klienten unter 20 Jahre ging aber zurück: Von 20 Prozent im Jahr 2002 auf 12 Prozent im Vorjahr. Für Drogenkoordinator Michael Dressel "ein Zeichen dafür, dass präventive Streetworkmaßnahmen wie zum Beispiel am Wiener Karlsplatz funktionieren".

Die sozialen und gesundheitlichen Begleiterscheinungen der Drogensucht sind nach wie vor schlimm: Jeder dritte Heroin-Abhängige ist an Hepatits C erkrankt, vier Prozent sind mit HIV infiziert. 94 Menschen sind im Vorjahr an Folgen des Drogenkonsums gestorben. 77 Prozent der Abhängigen sind nicht arbeitsfähig, der eingangs beschriebene Rudolf S. gehört zu den 12 Prozent, die voll erwerbsfähig sind. Nur die Hälfte aller Betreuten hat einen Pflichtschulabschluss, ein Viertel gar nur die Volksschule fertig gemacht. Vier von zehn Klienten wurden bereits wegen eines Drogendeliktes verurteilt, meistens ging es dabei um Cannabis.

Um die triste Arbeits- und Wohnsituation zu verbessern, will Drogenkoordinator Dressel den Ausbau entsprechender Angebote. (Michael Simoner/DER STANDARD-Printausgabe, 5.12.2008)