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Panzer und Haubitzen auf dem Roten Platz in Moskau: Die russische Armee soll kleiner und effizienter werden, erstmals wird auch an den Zukauf von ausländischen Rüstungsgütern gedacht.

Foto: AP/Sergey Ponomarev

Die russische Armee steht nach der Ansicht von Militärexperten vor der größten Umstrukturierung der letzten 100 Jahre. Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow will nicht nur das System der Truppenführung radikal umkrempeln, sondern plant auch einen Kahlschlag bei den Offizieren. Die Militärs steigen gegen die Reformpläne auf die Barrikaden.

Herzstück der Militärreform ist ein radikaler Personalabbau. Bis 2012 soll die Zahl der Offiziere von 335.000 auf 150.000 Mann mehr als halbiert werden. Insgesamt soll die Anzahl der Soldaten von derzeit rund 1,2 Millionen auf eine Million reduziert werden. Außerdem will sich das russische Verteidigungsministerium von der aus den 1960er-Jahren stammenden Führungskette aus Armee-Division-Regiment-Bataillon trennen und kleinere, mobilere Brigaden einführen.

Der Georgien-Krieg hat die Schwächen der derzeitigen Armeestruktur deutlich zum Vorschein gebracht. Die russische Armee ist für regionale Konflikte zu schwerfällig und die Befehlskette zu lang, gab Michail Makarow, Chef des Generalstabes, zu. Außerdem seien nur 20 Prozent der russischen Streitkräfte gefechtsbereit. Der Rest sind sogenannte Kaderdivisionen, die aus Offizieren bestehen und die in Kriegszeiten mit Reservisten aufgefüllt werden sollen.

"Die Reform ist die Abkehr von der aus der Sowjetzeit stammenden Doktrin der Massenmobilisierung" , sagt der russische Militärexperte Pawel Felgenhauer. Die Militärführung versuche, die Armee massiv umzukrempeln und nach westlichem Vorbild zu modernisieren.

Auch das russische Kriegsgerät muss einer Modernisierung unterzogen werden. In den nächsten drei bis fünf Jahren sollen 30 Prozent der alten Waffen durch neue ersetzt werden, kündigte Makarow an. Dabei erwägt die Militärführung erstmals auch die Anschaffung von Waffen aus dem Ausland. Russland zeigte bereits Interesse an einem Flugzeugträger aus Frankreich und Drohnen aus Israel. "Das ist ganz klar ein Tabubruch" , konstatiert Felgenhauer. Bisher galt das ungeschriebene Gesetz, dass die marode russische Rüstungsindustrie unterstützt werden soll.

Der von oben verordnete Paradigmenwechsel sorgt in der russischen Armee für großen Widerstand. Etliche ranghohe Offiziere haben aus Protest gegen die Reform ihren Rücktritt eingereicht. Das Verteidigungsministerium verhängte laut einem Bericht der Zeitung Kommersant einen Maulkorb-Erlass. Armeeangehörige haben bei einem Verstoß gegen das Redeverbot mit der Entlassung und strafrechtlichen Folgen zu rechnen. (Verena Diethelm aus Moskau/DER STANDARD, Printausgabe, 6./7./8.12.2008)