Wiens Grünen-Chefin Maria Vassilakou wirbt um neue Wählerschichten für 2010: "Es geht jetzt um junge Familien, die mit Geldproblemen zu kämpfen haben."

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Standard: Bei der Nationalratswahl haben die Grünen in Wien im Gegensatz zur FPÖ nicht zugelegt. Ist der grüne Wählerpool ausgeschöpft?

Vassilakou: Das würde ich so nicht sagen. Es wird aber sicher erforderlich sein, dass wir in den kommenden Jahren unser sozialpolitisches Profil schärfen. Die Zahl der Menschen, die mit ihrem Einkommen nicht zurande kommen, ist sehr stark gewachsen.

Standard: Entdecken die Grünen erst jetzt die sozial Schwachen?

Vassilakou: Nicht erst jetzt, aber nun geht es vor allem um junge Familien, die trotz Bildung und beruflicher Qualifikation mit massiven finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Viele von ihnen sind von der SPÖ enttäuscht und haben bei der letzten Wahl protestiert. Wir sagen: Es gibt eine andere Alternative, als einer Rechtsaußen-Partei die Stimme zu geben.

Standard: Bei der Nationalratswahl lagen die Grünen bei den Erstwählern mit knapp 25 Prozent vorn. Dennoch haben die unter 30-Jährigen in Summe mehrheitlich rechts gewählt. Wo kommen den Grünen die Jungen abhanden?

Vassilakou: Beim Bildungsgefälle, würde ich meinen. Einmal mehr haben wir bei Gymnasiasten und Studenten gut abgeschnitten. Bei Lehrlingen und Berufstätigen wird es dann schon wesentlich schwieriger für die Grünen. Genau hier sieht man auch, wo unsere Lücke liegt. Man weiß, dass die Grünen für die Umwelt stehen, und man weiß, dass die Grünen für die Bürgerrechte stehen. Aber beim Thema Sozialpolitik gibt es noch immer sehr viele Menschen, die nicht wissen, was sie davon hätten, wenn sie grün wählen.

Standard: Mit dem Thema Armutsbekämpfung werden Sie 2010 in den Wahlkampf gehen?

Vassilakou: Die Grünen haben schon im letzten Gemeinderatswahlkampf eine Grundsicherung gefordert. Und am Wahlabend hatten wir 7000 Stimmen von der SPÖ gewonnen und sogar 4000 von den Freiheitlichen. Daran kann man erkennen, dass man mit konkreten sozialen Themen punkten kann.

Standard: Aber offenbar haben Sie andere Wähler verloren, weil so gut haben die Grünen bei den letzten Gemeinderatswahlen ja nicht abgeschnitten.

Vassilakou: Da muss ich widersprechen. Die letzten Wahlen waren für die Grünen sehr gut - das beste Wahlergebnis, das wir je hatten mit knapp 15 Prozent und 16 Mandaten.

Standard: Dennoch war es nur der vierte Platz hinter der FPÖ. Heinz-Christian Strache hat ja bereits das "Duell um Wien" ausgerufen. Wie werden die Grünen beim Match Häupl-Strache mit ihren Themen durchkommen?

Vassilakou: Da fällt mir "Gorillas im Nebel" ein. Wenn Häupl und Strache jetzt viel zu früh das Match der Silberrücken ausrufen, werden viele davon bis zur Wahl übermüdet sein. Irgendwann reicht einem der ganze Affenzirkus.

Standard: Sind die Grünen für eine Koalition zu haben, wenn die SPÖ die Absolute nicht mehr schafft?

Vassilakou: Ich halte es derzeit für vermessen, über Koalitionen zu spekulieren. Wir haben immer gesagt, für uns gibt es eine Partei, mit der eine Zusammenarbeit nicht denkbar ist - die FPÖ. Alles andere werden wir nach der Wahl sehen.

Standard: Was halten Sie von der Forderung Maria Fekters, dass Zuwanderer schon in ihren Heimatländern Deutsch lernen müssen?

Vassilakou: Ich glaube, die ÖVP macht einen sehr großen Fehler, wenn sie mit Innenministerin Fekter in der Migrationspolitik einen Kurs verfolgt, der sehr vielen Menschen die Grausbirnen aufsteigen lässt. In den Herkunftsländern gibt es Deutschkurse oft nur in großen Städten. Entweder das Ganze ist zynisch oder intelligenzfrei. Dazwischen gibt es leider nichts.

Standard: Wie würde ein grünes Integrationsmodell aussehen?

Vassilakou: Wir müssen zunächst schauen, dass wir im Niedriglohnsektor in den nächsten Jahren keinen Wettbewerb der Ärmsten haben. Und ja, ich befürworte, dass man in den nächsten Jahren hauptsächlich um hochqualifizierte Zuwanderer wirbt, weil sie die Wirtschaft auch braucht. Was ich nicht verstehen kann, sind Schikanen bei der Familienzusammenführung. Menschen kann man doch gar nicht ohne ihre Familien integrieren.

Standard: Die Wiener ÖVP schlägt vor, Eltern, die Kinder trotz Sprachdefiziten nicht in den Kindergarten schicken, die Familienbeihilfe zu kürzen. Ist das für Sie denkbar?

Vassilakou: Ich ziehe eine Welt vor, in der erwachsene Menschen davon überzeugt werden, was das Beste für sie ist.

Standard: Worin unterscheidet sich dieser Ansatz von der Integrationspolitik der Wiener SPÖ in den vergangenen Jahren?

Vassilakou: Die Politik, die die SPÖ lange Zeit verfolgte, war, diesen ganzen Bereich nicht zu organisieren. Seit einigen Jahren gibt es ein Flickwerk an guten Maßnahmen. Aber es gibt kein schlüssiges Konzept. Es ist Aufgabe der Stadt, Deutschkurse zu organisieren und gratis anzubieten. Und es ist Aufgabe der Zuwanderer, diese zu besuchen. Massiv vernachlässigt wurde auch die Frage des Zugangs zum Arbeitsmarkt und der Anerkennung von Qualifikation. Zuwandern ist in Österreich keine Erfolgsstory, sondern leider oft ein Abstieg. Und dann wundert man sich Jahre später, warum die Menschen nicht Deutsch gelernt haben und warum sie noch immer in schlechten, überteuerten Wohnungen wohnen.

Standard: Mit welchem Team werden Sie die Wahl bestreiten?

Vassilakou: Ich habe viele kluge Köpfe in meinem Team. Neben David Ellensohn und Rüdiger Maresch etwa Sabine Gretner, ohne die das ganze Fiasko um den Prater-Vorplatz nicht thematisiert worden wäre. Oder an Sigrid Pilz, die mit der Psychiatrie-Untersuchungskommission gegen die Zwei-klassen-Medizin kämpft. Wer noch dazukommen wird, ist schwer vorhersehbar, weil wir ja ein System haben, bei dem sämtliche grüne Aktivisten, die es in Wien gibt - und das sind ein paar hundert - gemeinsam die Liste erstellen werden. Ich freue mich schon auf die neuen Gesichter.

Standard: Werden die Neuen auch den Altersdurchschnitt senken?

Vassilakou: Grundsätzlich geht es eher darum, dass es Menschen sind, die noch nicht ewig auf einem Mandat sitzen und die daher auch frisches Engagement hineinbringen. Das ist altersunabhängig.

Standard: Die Wiener Grünen haben die Bundespartei bisher oft recht heftig kritisiert. Werden die Wiener, nachdem Eva Glawischnig angekündigt hat, dass Sie fix ihre Stellvertreterin bleiben werden, nun braver?

Vassilakou: Es gibt aus Wien für Eva Glawischnig sehr große Unterstützung. Ansonsten sind die Wiener Grünen bekannt dafür, dass unsere Unterstützung auch immer wieder eine kritische sein kann. Wobei das Wort, das überwiegt, Unterstützung ist - und nicht Kritik.

Standard: Gibt es etwas, wofür Sie sich als Wienerin genieren?

Vassilakou: Ja, ich geniere mich dafür, dass es in einer der reichsten Städte der Welt Tausende von Kindern gibt, die in schlecht geheizten Wohnungen sitzen.

Standard: Worauf sind Sie stolz?

Vassilakou: Ich bin stolz darauf, dass in Wien jemand wie ich, die erst vor 23 Jahren nach Wien gekommen ist, es sogar bis zur Spitzenkandidatin gebracht hat. Das nehme ich als Beweis dafür, wie weltoffen die Wiener und Wienerinnen sind. Ich habe weder innerhalb noch außerhalb des Rathauses jemals gespürt, dass ich woanders aufgewachsen bin. Das ist schon etwas, das die Stadt auszeichnet. (Bettina Fernsebner, Martina Stemmer, DER STANDARD Printausgabe, 06./07./08.12.2008)