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Obamas Aura der Veränderung - nichts als schöner Schein? Einige aus seinem Finanzteam traten eifrig für Deregulierungen ein.

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Der stets unbequeme Noam Chomsky
feiert am Sonntag seinen 80. Geburtstag.

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Das Wort, das nach der US-Präsidentschaftswahl jeder sofort im Mund führte, war "historisch". Das ist auch richtig so. Eine schwarze Familie im Weißen Haus ist ein gewichtiges Ereignis. Doch lassen wir einmal die Rhetorik der Hoffnung und des Wechsels beiseite - was können wir realistischerweise von der Obama-Regierung erwarten?

Obamas Personalauswahl hat Signalwirkung. Zuerst wählte er seinen Vizepräsidenten: Joe Biden, einen der größten Befürworter der Invasion in den Irak unter den Demokraten im Senat und langjährigen Washington-Insider, der stets, aber nicht immer mit den Demokraten stimmt - beispielsweise nicht, als er eine Maßnahme unterstützte, die es für Einzelpersonen schwieriger gestaltet, Schulden zu tilgen, indem sie den Bankrott erklären.

Die erste Ernennung nach der Wahl war die in die Schlüsselposition des Stabschefs: Rahm Emanuel, einer der größten Unterstützer der Irak-Invasion unter den Demokraten des Repräsentantenhauses, wie Biden ein Washington-Insider. Emanuel war auch einer der größten Profiteure der Kampagnengeldern der Wall Street, wie das Center for Responsive Politics berichtet. Er "stand an der Spitze der Empfängerliste im Repräsentantenhaus im 2008-Wahlzyklus von Beiträgen aus Hedgefonds, Private-Equity-Firmen und der weiteren Sicherheits-/Investment-Industrie".

Seit er 2002 in den Kongress gewählt wurde, "erhielt Emanuel mehr Geld von Einzelpersonen und PACs (Political Action Committees) aus dem Versicherungen- und Investement-Bereich als aus jeglichem anderen Industriezweig." Seine Aufgabe ist es, Obamas Handling der schlimmsten Finanzkrise seit 1930 zu betreuen, für die seine und Obamas Förderer weitgehend Verantwortung tragen.

In einem Interview mit dem Herausgeber des "Wall Street Journals" wurde Emanuel gefragt, was die Obama-Administration wegen der "Führung der Demokraten im Kongress zu tun gedenke, der ein Sammelbecken für linksgerichtete Geldgeber sei, die ihre eigenen Vorstellungen hätten" - wie etwa die Ausgaben für die Verteidigung zu kürzen (übereinstimmend mit der Mehrheit der Bevölkerung) - und die "darauf aus sind, die Energiesteuer anzuheben, um die globale Erwärmung zu bekämpfen".

"Barack Obama kann ihnen die Stirn bieten", beruhigte Emanuel den Herausgeber. Die Regierung werde pragmatisch agieren, "linke Extremisten abwehren".

Veteranen mit Verstößen

Obamas Übergangsteam steht John Podesta vor, Stabschef unter Bill Clinton. Zwei weitere Clinton-Veteranen, Robert Rubin und Lawrence Summers, zählen zur Führungsriege der Wirtschaftsberater. Rubin and Summers traten beide enthusiastisch für die Deregulierung ein, einen wichtigen Faktor in der aktuellen Finanzkrise. Als Clintons Finanzminister war Rubin maßgeblich daran beteiligt, das Glass-Steagall-Gesetz abzuschaffen, das Kreditinstitute von Finanzinstitutionen unterscheidet, die hohe Risiken eingehen.

Tim Canova vom Economist schreibt, dass Rubin "persönliches Interesse daran hatte, Glass-Steagall zu Fall zu bringen". Bald nachdem Rubin als Finanzminister abtrat, wurde er "Vorsitzender der Citigroup, einer Finanzdienstleister-Gruppe, die vor der Möglichkeit stand, ihre Versicherung abzustoßen zu müssen, indem sie Förderungen unterschrieb ... Die Clinton-Regierung hat ihn für die offensichtlichen Verstöße gegen das Ethikgesetz nie angeklagt".

Rubin wurde als Finanzminister von Summers abgelöst, der jener Gesetzeskommission vorsaß, die sich gegen die nationale Regulierung von Derivaten stemmte, den "Massenvernichtungswaffen", wie sie Warren Buffet nannte, die dazu beitrugen, die Finanzmärkte ins Disaster zu stürzen.

Summers gilt als "einer der Hauptübeltäter in der aktuellen Wirtschaftskrise", meint jedenfalls Dean Baker gemeinsam mit einer Handvoll anderer Wirtschaftswissenschafter, die vor der drohenden Krise gewarnt haben. Die Finanzpolitik in die Hände von Rubin und Summers zu legen, ist, "als ob man sich an Osama bin Laden um Hilfe im Krieg gegen den Terrorismus wendet", bemerkt Baker. Jetzt rufen Rubin und Summers nach Reglementierungen, die helfen, das Chaos zu beseitigen, das sie mit verursacht haben.

Tatzeugen der Malaise

Die Finanzpresse bewertete die Berichte von Obamas Wirtschaftsbeirat in der Übergangsperiode, der sich am 7. November traf, um festzulegen, wie man gegen die Finanzkrise vorgehen würde: Jonathan Weil fasste in "Bloomberg News" zusammen, dass "viele von ihnen eigentlich als Tatzeugen vorgeladen werden müssten und nicht Plätze im inneren Kreis um Obama erhalten sollten". Etwa die Hälfte "hatte Treuhandpositionen in Firmen, in denen sie in der einen oder anderen Hinsicht entweder ihre Bilanzen herumwendeten, die Welt in wirtschaftlicher Hinsicht in den freien Fall zu befördern halfen oder beides." Ist es tatsächlich plausibel, dass "sie die Bedürfnisse der Nation nicht als die Bedürfnisse ihrer eigenen Firmeninteressen missverstehen?"

Das vordringlichste Anliegen der neuen Regierung wird sein, die Finanzkrise und die gleichzeitige Rezession in der Realwirtschaft zu stoppen. Aber es gibt noch ein anderes schlafendes Monster: das berüchtigt ineffiziente privatisierte Gesundheitssystem, das das Nationalbudget zu sprengen droht, wenn sich die aktuellen Trends fortsetzen. (© New York Times Übers.: Luzia Schrampf/DER STANDARD, Printausgabe, 6./7./8.12.2008)