Bukarest/Wien – "Magst du einen Kaugummi?" fragt Alian. Wer jetzt zugreift, be-kommt einen sanften Schlag. Denn der Elfjährige bietet einen Scherzartikel an, die leicht elektrisch geladene Attrappe einer Kaugummipackung, die er gerade erstanden hat. Torsten Heinemann findet dies nicht lustig und beschlagnahmt das Corpus Delicti. Alian ärgert das nicht übermäßig. Torsten ist sein Freund, neuerdings auch sein Erziehungsberechtigter. Torsten hat gerade verhindert, dass Alian ein Heimkind wird.

Dazu musste er das Wirken der für Jugendschutz zuständigen Wiener Magistratsabteilung 11 (MagElf) durchkreuzen. Diese hatte nämlich Alian am 8. September dieses Jahres aus Wien nach Rumänien zurückgeschickt, exakt einen Tag, nachdem das Bezirksgericht Innere Stadt Torsten die volle Obsorge für Alian erteilt hatte. Die MagElf wusste vom laufenden Obsorgeverfahren, hat aber dessen Ausgang nicht abgewartet. Einsprüche der Familienrichterin Silvia Filip gegen die Rückführung Alians wurden einfach ignoriert. Darum musste Torsten nun monatelang in Rumänien um den Buben kämpfen.

Alians Geschichte wurzelt im Drama seiner Mutter. Sie ist in einem rumänischen Kinderheim aufgewachsen und geriet als junge Frau nach Wien. Hier lernte sie den Deutschen Torsten kennen, der als Sounddesigner für Film in Wien lebt. Die beiden wurden ein zunächst glückliches Paar. Also entschloss sich die Frau, ihr in Rumänien zurückgelassenes Kind, Alian, zu sich zu nehmen. Der damals Neunjährige lebte beim Ex-Freund seiner Mutter, der nicht sein Vater war, in ärmlichen Verhältnissen. Seinen leiblichen Vater kennt er nicht.

Zwischen Alian und seiner Mutter war die Beziehung zunächst wechselhaft, geriet aber später zur Katastrophe, weil die Frau plötzlich immer aggressiver wurde. Zudem drohte sie öfters mit Selbstverletzungen. Derartiges kommt bei rumänischen Heimkindern oft vor. Nach zwei Jahren – Anfang 2008 – kam es zu einer so schlimmen Krise zwischen Mutter und Sohn, dass Torsten die Behörden verständigte. Der Bub kam in eine betreute Wohngemeinschaft der Stadt Wien. Gleich danach trennte sich Torsten von Alians Mutter und beantragte die Obsorge für das Kind. Denn inzwischen war auch Folgendes geschehen: "Man hat mir erzählt, dass Alian mich einmal in der Schule als seinen Papa bezeichnet hat", sagt Torsten. Der 42-Jährige hatte viel mit Alian gespielt, seine Hausaufgaben betreut. Alian lernte schnell Deutsch, kam in der Volksschule sehr gut mit.

Anerkennung der Obsorge langwierig

Nachdem der Bub nach Rumänien abgeschoben worden war, scheute Torsten weder Kosten und Mühen, um ihn zurückzuholen. Dazu musste er in Rumänien einen Prozess führen, zur Anerkennung des österreichischen Obsorgerechts. Drei Monate dauerte dies, derweil musste Alian in einem Kin-derheim in Calarasi wohnen. Die rumänischen Behörden hatten den Buben in diese Stadt an der Donau geschickt, nur weil dies der letzte rumänische Meldeort seiner Mutter war. Alian kannte dort niemanden. Das Gericht bestätigte Torstens Obsorgerecht, auch weil Alian nur noch gebrochen Rumänisch spricht.

Warum er überhaupt zurück nach Rumänien musste, ist fraglich. Die MagElf hatte zu keinem Zeitpunkt die Rechtsvertretung für Alian. Diese lag erst bei der Mutter, danach bei Torsten, erläutert Richterin Filip. Herta Staffa, Sprecherin der MagElf, sagt, man habe Alian zurückgeschickt, weil das Kind dies gewollt habe. Ein "Wahnsinn, eine Frechheit" sei diese Ausrede, ereifert sich die Richterin. Das Kind habe doch allen Betreuern gesagt, es wolle bei Torsten bleiben. Warum hat das Jugendamt nicht zumindest das Obsorgeurteil abgewartet? Staffa windet sich bei der Antwort: "In Hinkunft" werde man "in solchen Fällen das Ende laufender Obsorgeverfahren abwarten".

In Calarasi sind die Formalitäten erledigt, Alian kann mit Torsten weggehen. Sie kommen an einem Spielplatz vorbei. Der Bub will auf die Schaukel. "Kunntast mi auntauchen?", ruft er auf gut Wienerisch. (Kathrin Lauer, DER STANDARD Printausgabe, 06./07./08.12.2008)