Ausländerkontrolle in der Straßenbahn: Der Umgang mit Fremden wird in Österreich vielfach als rein polizeiliches Problem betrachtet

Foto: DER STANDARD/ Heribert Corn

Die Angst wird nicht kleiner, nur weil die Zeit vergeht, das ist Anita Nwekes (Name geändert) Erfahrung seit März dieses Jahres. "Jeden Abend fürchte ich, dass es in der Nacht an der Wohnungstür klopft. Jeden Freitag bin ich erleichtert, weil das Wochenende kommt. Denn am Wochenende gibt es keine Abschiebungen - hoffe ich zumindest."

Denn im Grunde. so weiß die 45-jährige Grazerin, könnte die Fremdenpolizei jederzeit bei ihr auftauchen, um ihren Ehemann Nigel abzuholen: einen 29-jährigen Kenianer und abgewiesenen Asylwerber, der seit 2001 in Österreich lebt und mit dem sie seit 2005 verheiratet ist - und der zwei Höchstgerichtbeschwerden laufen hat, um vielleicht doch bei seiner Frau in Österreich bleiben zu dürfen. Doch aufschiebende Wirkung haben diese Beschwerden nicht. Bis zu allfälligen Entscheidungen ist Nigel Nweke vogelfrei.

Im März 2008 wurde er von der Straße weg festgenommen und in Schubhaft gebracht. Er unternahm einen Suizidversuch und wurde wieder entlassen. Vier Monate später, im Juli, kam die Polizei mit dem Abschiebebefehl zu ihm nach Hause. Er war zufällig nicht da. Die folgenden zwei Wochen verbrachte er überwiegend in einem Kellerabteil - bis er zusammenbrach und für mehrere Wochen stationär auf die Psychiatrie kam.

Seither hat es im Fall Nweke keine weiteren Abschiebeversuche mehr gegeben. Doch die Ruhe ist trügerisch: eine Situation, die für den jungen Mann und seine Frau nur schwer auszuhalten ist.

Eine Situation, in der sich in Österreich viele binationale Paare und tausende andere Menschen befinden, die laut Asyl- und Fremdengesetzen nicht hier leben dürfen, es aber de facto schon seit langen Jahren tun. In der Öffentlichkeit werden diese Härten gegen Fremde und ihre Angehörigen inzwischen hingenommen. Doch menschenrechtliche Probleme verschwinden nicht, nur weil man kein Wort mehr über sie verliert.

Angesprochen werden die Probleme im sonst funktionierenden Rechtsstaat Österreich stattdessen durch Stimmen von außerhalb: Etwa von Thomas Hammarberg, Menschenrechtskommissar des Europarats, der im Mai 2007 einen Bericht zur Lage in Österreich abgab. Er legte den Verantwortlichen eine Bleiberegelung nahe: Dazu sollten sie sich "die Amnestieverfahren anderer Länder in einer sehr ähnlichen Situation genau ansehen", riet er.

Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat genau das getan. Im Herbst 2007 veröffentlichte er eine Liste von Kriterien, die in umstrittenen Bleibefällen berücksichtigt werden müssen - und im Sommer 2008 hob er mit Frist bis Ende März 2009 die derzeitige Regelung für humanitären Aufenthalt auf. Doch auf politischer Seite ist derzeit kein Wille zu erkennen, ein explizites Bleiberecht einzuführen.

Das aber schließt eine menschenrechtskonforme Lösung des Problems per se nicht aus: "Wenn die Überprüfung der Kriterien anderswo in den Verfahren eingebaut werden soll, sodass sie ordentlich berücksichtigt werden - bitte sehr!", sagt Christoph Grabenwarter, Menschenrechtsexperte unter den Verfassungsrichtern. Die Republik hätte damit ein Grundrechtsproblem weniger - und Menschen wie Nigel und Anita Nweke würde wohl viel Angst erspart.

Viermal grundlos festgehalten

Mehr Mut zur Transparenz bei der Polizei wiederum könnte Menschen wie Karl P. helfen: Seit zwei Jahren ist der Niederösterreicher, der wegen der grünen Kappe "Rapid-Charly" genannt wird, obdachlos. Tagsüber hält er sich am Wiener Schwedenplatz, manchmal auch am Franz-Josefs-Bahnhof oder Julius-Tandler-Platz auf. Die Nächte verbringt er im KuckucksNest, einer Obdachloseneinrichtung in der Boltzmanngasse.

Viermal wurde der vorbestrafte Mann bereits von der Polizei festgenommen, jedes Mal soll er grundlos über Nacht festgehalten und misshandelt worden sein. Tritte, Schläge, Demütigungen, zuletzt am 25. Oktober. "Der Polizist wollte meinen Ausweis. Er wollte mich provozieren, denn er weiß: Ich habe keinen." Und schon wurden ihm Handschellen angelegt, die er - wie er erzählt - auch später in der Zelle nicht habe ablegen dürfen. Charly P.s Schulter ist heute noch lädiert. "Wer glauben die, wer sie sind?"

Bei seiner letzten Festnahme im Oktober war P.s Vorstrafe der Grund der Vernehmung: "Personalfahndung zur Aufenthaltsermittlung für die Staatsanwaltschaft", steht auf dem Blatt Papier, das Herr P. nach seinem Aufenthalt in der Polizeiinspektion (PI) Laurenzerberg mitbekommen hat. Antonia Schubert, die Betreiberin des KuckucksNests, hat den zuständigen Chefinspektor von der PI Laurenzerberg mit den Vorwürfen konfrontiert. Er und der Polizist, der Herr P. festgenommen hatte, behaupteten, P. gar nicht zu kennen. Zum Standard meinte besagter Chefinspektor, dass P. vom Laurenzerberg auf den Deutschmeisterplatz gebracht worden sei. Was dort geschehen sei, wisse er nicht. Am Deutschmeisterplatz gab man keine Auskunft.

Der Umgang mit vorgeworfenen und bewiesenen Übergriffen von Polizisten in Österreich war schon mehrfach Anlass zur Besorgnis internationaler Menschenrechtsgremien. Im November 2007 etwa empfahl der UN-Menschenrechtsausschuss der Republik, einschlägige Fälle durch eine "dem Innenministerium nicht unterstehende Institution" untersuchen zu lassen. Konkret ist in diese Richtung bisher nichts passiert.

In der Öffentlichkeit werden Härten gegen Fremde inzwischen hingenommen. Doch Menschenrechtsprobleme verschwinden nicht, nur weil man kein Wort mehr über sie verliert. (Irene Brickner und Marijana Miljkovi, DER STANDARD, Printausgabe, 6./7. Dezember 2008)