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Von den Kämpfen vertriebene Frauen im Ostkongo warten auf eine Hilfslieferung. Zehntausende Frauen sind im Rahmen des jüngsten Konflikts Opfer von Vergewaltigung geworden, sexuelle Gewalt dient als Kriegswaffe

Foto: Reuters

Standard: Am 10. Dezember feiert die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ihren 60. Jahrestag. Wo sehen Sie heute die größten Probleme für die Menschenrechte?

Navi Pillay: Bewaffnete Konflikte, autoritäre Herrschaft und Straffreiheit für Verbrechen sind nicht besiegt worden. Und unglücklicherweise werden im Namen der Sicherheit die Menschenrechte zeitweise an den Rand gedrängt. Eine Welt ohne Diskriminierung bleibt für viele Menschen ein fernes Ziel. Das Problem liegt aber in der mangelhaften Umsetzung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, nicht in ihrem Inhalt.

Standard: Sie haben als Richterin am Ruanda-Tribunal sichergestellt, dass Vergewaltigung als Kriegsverbrechen geahndet wird. Hat dieses Verbrechen im Kongo-Konflikt einen neuen Höhepunkt erreicht?

Pillay: Die Häufigkeit und die Brutalität der sexuellen Gewalt im Kongo ist jenseits jeder Beschreibung. Wir können das ganze Ausmaß nur schwer schätzen, die Zahl der Vorfälle ist aber sicherlich die höchste weltweit in den vergangenen zehn Jahren. Zehntausende aller Altersklassen, alte Frauen bis hin zu Babys im Alter von einigen Monaten, sind betroffen. Alle bewaffneten Gruppen - kongolesische und ausländische - benutzen Vergewaltigung als Kriegswaffe.

Standard: Warum haben die Vergewaltigungen im Kongo diese Dimension erreicht?

Pillay: In der Demokratischen Republik Kongo hat dieses Verbrechen aufgrund eines simplen Grundes seuchenartige Ausmaße angenommen: Es ist erlaubt. Kaum ein Täter wurde bestraft. Das muss sich ändern. Die Straffreiheit ist die größte Herausforderung.

Standard: Täter kommen aber nicht nur im Kongo ungeschoren davon.

Pillay: Ein gewisses Niveau an Straffreiheit für sexuelle und andere Formen von Gewalt gegen Frauen gibt es überall in der Welt und in praktisch allen Gesellschaften. Und in einigen Gesellschaften wissen die Männer, dass sie ihre Ehefrauen oder Töchter schlagen, verletzen, sogar töten können, ohne vor Gericht gestellt zu werden.

Standard: Sie wurden in ihrer Heimat Südafrika selbst diskriminiert. Jetzt kämpfen Sie als UN-Hochkommissarin gegen Unterdrückung. Was sind Ihre stärksten Waffen?

Pillay: Man muss daran glauben, dass man einen positiven Wandel erreichen kann, dass man eine Wirkung erzielt. Ich glaube daran. Nicht zuletzt aufgrund meiner persönlichen Erfahrung im Südafrika der Apartheid. Ich wuchs als ein Bürger zweiter Klasse auf. Man wusste, man konnte nicht in einen Park und an Strände gehen, weil sie für weiße Personen reserviert waren. Man hielt inne, bevor man einen Aufzug benutzte, weil die Aufzüge nach Rassen getrennt waren. Ich hatte nie gedacht, dass dieses System einmal enden würde.

Standard: Der Wandel kam aber ...

Pillay: Wie viele Südafrikaner verdanke ich den Wandel der Vision Nelson Mandelas. Er befürwortete Kompromisse und Verhandlungen. Diese Wörter wurden von mir als Studentin verachtet, aber in unserem Fall halfen sie, die Vergangenheit zu überwinden. Südafrika hat heute eine der stärksten Verfassungen der Welt. Allerdings muss sich auch Südafrika bemühen, die Rechte in der Realität anzuwenden.

Standard: Kann die Wahl Obamas zum US-Präsidenten helfen, den Rassismus in der Welt zu überwinden?

Pillay: Ich befürchte, es ist nicht so einfach. Immerhin sahen wir in den Tagen nach der Wahl eine überwältigende positive Reaktion auf der ganzen Welt. Es ist wie bei Nelson Mandela. Obamas Erfolge haben bisher gezeigt, dass es möglich ist, hohe Hürden zu überwinden, einschließlich Vorurteile und Diskriminierung.

Standard: Außerhalb der westlichen Welt lehnen viele die Menschenrechte als westliches Konzept ab. Sie bestreiten deren Universalität. Was ist ihre Antwort?

Pillay: Die Universalität der Menschenrechte wird viel öfter von denjenigen infrage gestellt, die in staatlichen Institutionen das Sagen haben, als von jenen, die von einer Universalität profitieren. Ich denke, jeder hat die gleiche Vorstellung von einem würdigen Leben ohne Furcht und Mangel. Für mich ist die Erklärung ein Leuchtfeuer der Hoffnung für die Zukunft. (Jan Dirk Herbermann, DER STANDARD, Printausgabe, 6./7. Dezember 2008)