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Ferruccio Furlanetto (re. als Philipp II.) war der Mittelpunkt einer eher statischen Version von Verdis "Don Carlo" an der Mailänder Scala.

Foto: Reuters

Für den Scala-Chef Stéphane Lissner ist es eine Erfolgsgeschichte: Den Bankrott nach der Riccardo-Muti-Ära konnte er abwenden, die Zahl der Produktionen seit 2007 erhöhen, und fast täglich - für Italien ungewöhnlich - bietet er eine Aufführung an. Wenn Berlusconis Föderalismus-Reform beschlossen wird, dürfte zudem die Mailänder Scala als Gewinnerin dastehen: Als nationales Prestigeobjekt wird ihr als einzigem Opernhaus größerer staatlicher Zuschuss gewährt. Die anderen Opernhäuser fallen dann in die Zuständigkeit der Regionen, Rom will seine Theaterförderung um ganze 17 Prozent kürzen.

Allein, es ist auch in Mailand viel Gemurre zu hören: Lissner, heißt es, habe die große italienische Operntradition nivelliert und die einzigartige Scala an den internationalen Opernbetrieb verraten. Scala-Vorstellungen würden sich kaum von Opernaufführungen in anderen Städten unterscheiden, zumal die meisten als Koproduktionen geplant werden. Die diesjährige Saisoneröffnung - seit Jahrhunderten am Tag des Stadtheiligen St. Ambrosius - schien die Befürchtungen zu bekräftigen; Affären, Skandale, Streikdrohungen scheinen jedes Jahr mit eingeplant.

Zudem wurde in letzter Minute die Titelrolle umbesetzt. Der vorgesehene Giuseppe Filianoti war wohl dem forcierten dramatischen Dirigat von Daniele Gatti nicht gewachsen: Bei der Generalprobe versagte er so fulminant, dass man ihn auslud und flugs Stuart Neill finden musste, der die Rolle brav heldisch stemmte, aber an den Glanz, den Plácido Domingo (1970), José Carreras (1977) und Luciano Pavarotti (1992) ausstrahlten, nicht herankam. Für die minimalistische, oft statuarische Inszenierung von Stéphane Braunschweig war die tenorale Ankunft in letzter Minute kein Problem.

Braunschweig inszeniert Don Carlo als Oper im Grab, entsprechende Platten und Grüfte (marmorweiß oder betongrau) bestimmen den flächigen abstrakten Bühnenraum. Es ist ja durchaus eine Möglichkeit, Verdis Oper von Todesvorstellungen aus zu inszenieren; und Don Carlo spielt nun am Grabe Karls V., dabei ist Spanien ein Friedhof der Gefühle und Gedanken.

Die Bäume erinnern allerdings bisweilen auch an die Vorgeschichte, an das Paradies der Kindheit, den Garten von Fontainebleau. In Verdis erster Fassung, der Pariser, war diese Vorgeschichte ja als erster Akt komponiert.

In der nun in Mailand gezeigten italienischen Fassung ist die Vorgeschichte nur bruchstückhafte Erinnerung, etwa wenn hin und wieder das Bild eines sonnendurchfluteten Waldes gezeigt wird. Das Paradies der Kindheit wird auch mit drei Kinderdarstellern vorgeführt, die Braunschweig den Erwachsenen (Posa, Carlos und Elisabeth) zugesellt - als Frage wohl auch, was aus der Freundschaft und Liebe der Königskinder geworden sei?

Durchaus effektvoll

Die bleierne Schwere dieser Produktion ist jedoch vor allem Daniele Gatti zu "danken", der sehr heftige Ablehnung für sein Dirigat auf sich zog. Hin und wieder erreicht das lange hingezogene Pathos durchaus Effekt - etwas im Todesduett von Carlos und Elisabetta (Fiorenza Cedolins), aber besonders zu Beginn wirkt vieles fahrig und oft sogar unkoordiniert.

Dalibor Jenis sympathischer weicher Rodrigo ist dem Pathos durchaus gewachsen, während Dolora Zajik hochdramatisch zu beeindrucken versucht, doch kaum zärtliche Prinzessin Eboli ist. Wie für die Titelrolle musste auch für Matti Salminen (als Großinquisitor) schließlich ein Ersatz gefunden werden. Aber es verärgerte Anatolij Kotscherga leider nur dröhnend das Publikum.

Von Ausstrahlung, Spielfreude und Stimme - beinahe ein wenig zu leichtgewichtig - übertraf aber ausgerechnet an Jugendlichkeit alle Beteiligten schließlich Routinier Ferruccio Furlanetto als alter Philipp II. - wohl der Mittelpunkt und manchmal auch der grimmige Drahtzieher dieser spanischen Friedhofstragödie. (Bernhard Doppler aus Mailand, DER STANDARD/Printausgabe, 09.12.2008)