Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr - diese Volksweisheit trifft den Kern des grundlegenden bildungspolitischen Strukturproblems hierzulande. Was Kinder in ihren ersten Lebensjahren versäumen, ist danach kaum noch aufzuholen. Und dass die Jüngsten gerade mal mittelmäßig sind, daran wird Österreich nun durch eine Studie erinnert: Laut TIMSS, das die Fähigkeiten von Volksschülern in der 4. Klasse in Mathematik und Naturwissenschaften misst, liegt Österreich genau im internationalen Durchschnitt. Zu einem ähnlichen Schluss kam vor gut einem Jahr die Lesestudie PIRLS.

Unabhängig vom Ranking-Wahnsinn, der bei der Veröffentlichung solcher Studien ausbricht - denn aufgrund der statistischen Schwankungsbreite sind die Platzierungen der einzelnen Länder wenig aussagekräftig -, ist das ein Ergebnis, das die Politik in Alarmbereitschaft versetzen sollte. Der Trichter des Bildungswesens wird viel zu früh viel zu schmal; kein Wunder also, dass am Ende nur wenige Akademiker herauskommen.

Die Mission, diese Quote zu erhöhen, muss lange vor der Matura des österreichischen Nachwuchses starten. Chancengerechte Bildungspolitik beginnt im Kindergarten, oder (eingedenk der Realität) besser gesagt: Sie beginnt dort nicht. Wer sein Kind betreuen lassen will, zahlt für einen Ganztagesplatz nicht selten ein paar hundert Euro pro Monat. Die Wahlfreiheit der Betreuung, von der ÖVP zum familienpolitischen Mantra auserkoren, gibt es nur für wenige Eltern.

Dass das letzte Kindergartenjahr nun verpflichtend und gratis wird, ist eine freundliche, aber halbherzige Geste der neuen Bundesregierung. Erstens gilt die Regelung nur für die Vormittage, und zweitens löst sie ein anderes Strukturproblem nicht: Die wichtigsten - weil ersten - "Lehrer" der Kinder werden nicht nur mangelhaft ausgebildet, sondern auch noch ganz schlecht bezahlt. Letzteres gilt auch für die Volksschullehrer, die die Kinder dazu bringen sollen, die erste richtige Hürde ihrer "Karriere" zu nehmen: Wer es nicht ins Gymnasium schafft, dessen Chancen, irgendwann auf eine Hochschule zu kommen, sind meist vertan. Mit nur zehn Jahren.
In der Mittel- und Oberstufe kommen viele Kinder erstmals mit einem Bildungsbereich in Kontakt, in dem Österreich wirklich zur internationalen Spitze gehört: Ohne Nachhilfe schaffen es die wenigsten zur Matura. Qualitätsvolle Nachmittagsbetreuung - in anderen Ländern eine Selbstverständlichkeit - gibt es, wenn überhaupt, nur gegen teures Geld.

Im Vergleich zu alldem nehmen sich die Studiengebühren wie ein Schnäppchen aus. Der Großteil der Studierenden muss sie zwar ab dem kommenden Sommersemester nicht mehr bezahlen; eine Massenvorlesung wird aber nicht angenehmer oder sinnvoller, weil sie gratis ist. Die Auswirkungen der chronischen Unterdotierung der Hochschulen schrecken viele angehende Akademiker ab.

Wer all diese Bildungsmühen hinter sich gebracht hat, für den stellt sich früher oder später die Frage: Will ich Kinder, und wenn ja, kann ich sie mir leisten? Und hier schließt sich der Kreis: Gut qualifizierte, erfolgreiche junge Menschen scheitern an der strukturellen Kinderfeindlichkeit. Und verzichten darauf, Nachwuchs in die Welt zu setzen - aus Gründen, die alles andere als hedonistisch sind.

Nur wer an allen Rädchen im Bildungssystem dreht, kommt am Ende zu einem guten oder sogar sehr guten Ergebnis - nicht (nur) in Studien, sondern in der gefühlten Familien- und Bildungswirklichkeit, die letztlich für die Geburtenrate verantwortlich ist. Das alles kostet enorm viel Geld; aber es ist das denkbar nachhaltigste Konjunkturprojekt, das sich eine Regierung vornehmen kann. (DER STANDARD, Printausgabe, 9.12.2008)