Prag - Das tschechische Abgeordnetenhaus ist am Dienstag zu einer außerordentlichen Sitzung in Prag zusammengekommen, um sich mit dem EU-Reformvertrag zu befassen. "Ich glaube nicht, dass es heute zu einer Abstimmung über den Lissabon-Vertrag kommt", erklärte Ministerpräsident Mirek Topolanek unmittelbar vor der Sitzung.

Der sozialdemokratische Chef des Unterhauses, Miloslav Vlcek, hatte die Tagung auf Wunsch der oppositionellen Sozialdemokraten (CSSD) und der beiden kleineren Regierungsparteien einberufen. Sozialdemokraten sowie die mitregierenden Christdemokraten (KDU-CSL) und Grünen sind um eine baldige Ratifizierung des Dokuments bemüht. Die konservative Demokratische Bürgerpartei (ODS) von Topolanek und die Kommunistische Partei (KSCM) wollen eine Abstimmung über das Dokument vorerst nicht zulassen.

"Nichtangriffspakt"

Die ODS werde die Sitzung des Abgeordnetenhauses nicht blockieren und das Programm der Tagung unterstützen, sagte der Regierungschef. Mit dem Votum wolle die ODS aber bis Anfang 2009 warten. Die Christdemokraten indes halten daran fest, dass das Unterhaus den EU-Reformvertrag noch heuer ratifizieren sollte.

Zunächst müsse der "Nichtangriffspakt" der ODS mit der CSSD für die Zeit des tschechischen EU-Vorsitzes im ersten Halbjahr 2009 abgeschlossen sein, was für nächste Wochen geplant sei, argumentierte Topolanek. Für die ODS habe die Ratifizierung der Verträge über die Stationierung eines US-Radars in Tschechien Priorität. Er verwies auf den entsprechenden Beschluss des ODS-Parteitags vom vergangenen Wochenende. Die Haltung der ODS bedeute "nichts Anderes als die Verschiebung des Termins der Abstimmung ins nächste Jahr".

Der Chef des ODS-Klubs im Unterhaus, Petr Tluchor, warnte die Befürworter einer schnellen Ratifizierung des EU-Reformvertrages. Sie sollten nicht versuchen, die Abstimmung über das Dokument bereits jetzt herbeizuführen, denn in diesem Fall würde die ODS dagegen votieren. Wer die Abstimmung noch heute zulassen würde, gehe das Risiko ein, dass der Vertrag nicht gebilligt werde. "Die Abstimmung kann man nicht wiederholen", unterstrich Tluchor.

Für die Ratifizierung des EU-Reformvertrages ist in dem 200 Mitglieder umfassenden Unterhaus eine Drei-Fünftel-Mehrheit nötig, sprich 120 Stimmen. Die ODS hat 81 Abgeordneten - ohne die Zustimmung zumindest einer Reihe von Konservativen kann das Ratifizierungs-Dokument im Unterhaus daher nicht verabschiedet werden. Der Termin der Senatssitzung zum EU-Reformvertrag wurde vorläufig für nächste Woche festgelegt.

Tschechien ist - außer Irland - das einzige EU-Land, dessen Parlament dem EU-Reformvertrag noch nicht zugestimmt hat. Das nördliche Nachbarland wird am 1. Jänner 2009 für sechs Monate den EU-Ratsvorsitz übernehmen. Der Ratifizierungsprozess muss in Tschechien mit der Unterschrift des Staatsoberhaupts abgeschlossen werden. Präsident Vaclav Klaus deutete kürzlich an, dass er den Vertrag erst dann beurkunden wolle, wenn auch Irland ratifiziert hat. (APA)