Zur Person

Andreas Jentzsch (40) klettert seit 25 Jahren gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Axel Jentzsch-Rabl im extremen Eis und Fels. Die Eiskletterzwillinge haben hunderte Eisfälle in ganz Österreich beschrieben und mittlerweile drei Eiskletterführer veröffentlicht.

Foto: www.bergsteigen.at

derStandard.at: Hat die Eisklettersaison schon begonnen?

Jentzsch: Nein, es war noch nicht lange genug kalt. Nur Wasserfälle in einer Lage von über 2000 Metern Seehöhe sind schon gefroren. Darunter gibt es im Moment fast keinen Wasserfall, der sicher geklettert werden kann.

derStandard.at: Sind diese Eiskletterfälle natürlich gewachsen oder sind es künstliche Gebilde?

Jentzsch: 98 Prozent entstehen auf natürliche Weise. Ein paar wenige künstliche Ausnahmen gibt es. Zu denen zählen unter anderem die bekannten Eistürme. Die entscheidende Vorraussetzung, dass aus einem Wasserfall im Winter ein Eisfall wird: Er darf nicht zu viel Wasser führen. Die Krimmler Wasserfälle im Nationalpark Hohe Tauern sind nicht bekletterbar, weil so viel Wasser in unseren Breiten nur sehr selten gefrieren kann.

derStandard.at: Was haben Eis- und Felsklettern gemeinsam?

Jentzsch: Egal ob man sich im Eis oder im Fels bewegt, bei jeder Form des Kletterns werden viele Muskelgruppen gleichzeitig beansprucht. Vergleichbar ist das Klettern auf gefrorenen Wasserfällen am ehesten mit dem alpinen Klettern im Fels. Bei diesen beiden Bergsportarten muss sich der Kletterer seine Routen im Sommer mit Haken oder Keilen, im Winter mit Eisschrauben selber absichern. Im Gegensatz dazu bewegen sich Sportkletterer in einem Gelände, das mit fix angebrachten Bohrhaken gut abgesichert ist.

derStandard.at: Was ist gefährlicher?

Jentzsch: Eisklettern gehört zu den gefährlichsten Spielarten des Kletterns, denn das Eis ist eine sehr fragile Materie. Natürlich kann auch eine Felswand brüchig sein, aber im Grunde ist auf die Festigkeit von Stein Verlass. Dazu kommt, beim Eisklettern gibt es keine direkte Eisberührung, der Kletterer hält sich an seinem Eispickel fest, den er zuvor im gefrorenen Wasser versenkt hat. Es braucht sehr viel Erfahrung um einschätzen zu können, ob das Eis kletterbar ist, oder nicht.

derStandard.at: Keine Funsportart also?

Jentzsch: Definitiv nicht. Es ist maximal eine Trendsportart, der in Österreich aber nur zwischen 2000 und 3000 Leute nachgehen.

derStandard.at: Was fasziniert Sie am Eisklettern?

Jentzsch: Ich habe im Alter von 15 Jahren mit dem Eisklettern begonnen, also vor 25 Jahren. Damals war es der Reiz der Gefahr. Heute ist es die Kontaktaufnahme mit dem Medium Eis, das verglichen mit einer Felswand, ganz zart behandelt werden muss.

derStandard.at: Ist es denn nicht eher ein Gewaltakt, einen Eispickel in das Eis hinein zu bringen?

Jentzsch: Diese Vorstellung ist völlig falsch. Vielleicht wurden Eispickel in früheren Zeiten mit Gewalt in das Eis hinein geschlagen. Im Bereich der Ausrüstung hat sich jedoch vieles verbessert und verfeinert. Es bedarf zwar schon einer gewissen Kraft, aber auf keinen Fall darf das Eisgerät mit brachialer Gewalt in das Eis hinein gehauen werden. Das wäre kontraproduktiv. Riesige Eisschollen können ausbrechen oder Eiszapfen reihenweise in sich zusammenfallen. Mit Eis muss man sehr behutsam vorgehen.

derStandard.at: Ist das die Hauptgefahr, die dem Kletterer droht, dass aus dem Eis ein Stück heraus bricht?

Jentzsch: Die Hauptgefahr ist der Sturz. Angenommen Sie klettern einen hundert Meter hohen senkrechten Eisfall hinauf, dann können Sie natürlich alle zwei Meter eine Schraube setzen, sich damit absichern und das Risiko herunter zu fallen minimieren. Das Problem ist nur, das Setzen dieser Schrauben ist sehr anstrengend. Dem Kletterer steht ja nur eine Hand zur Verfügung um die 10 bis 25 Zentimeter langen Eisschrauben mit einer Kurbel im Eisfall zu versenken. Mit der anderen muss er sich am Eispickel festhalten. Ein Eiskletterer wird daher, vorrausgesetzt er ist mental auch stark genug, nicht alle zwei Meter sondern je nach Neigung des Eisfalles alle fünf bis zehn Meter oder mehr, eine Eisschraube im Eis versenken.

derStandard.at: Wenn der Eiskletterer also fällt, dann auf jeden Fall tief?

Jentzsch: Das Problem beim Sturz ist nicht nur die Distanz, sondern der mögliche Aufprall. Die Ausrüstung - Steigeisen, Eisgeräte und Eisschrauben - ist eine große Gefahrenquelle. Der Kletterer fällt samt seiner Gerätschaft völlig unkontrolliert ins Seil und unten angekommen knallt er gegen den Eisfall. Die Verletzungen, die bei so einem Sturz entstehen, sind in der Regel sehr schwer. Zum Glück sind Stürze aber selten.

derStandard.at: Wird der nachkletternde Partner mitgerissen?

Jentzsch: Seilschaftsflüge, wo einer den anderen mitreißt und keiner überlebt, sind beim Eisklettern selten. Die Standplätze sind in Positionen gewählt, wo das Eis auch hundertprozentig fest ist. Das bietet dem Kletterer ein hohes Maß an Sicherheit.

derStandard.at: Wie kann sich der Kletterer denn so sicher sein, dass das Eis fest ist und seine Eisschrauben auch halten?

Jentzsch: Indem er eine wichtige Grundregel beachtet, die lautet: Nie bei warmen Temperaturen oder einsetzender starker Erwärmung klettern, denn dann ist das Eis zu weich und die Schrauben halten nicht. Das Eis muss natürlich auch ausreichend und mit der Felswand verbunden sein.

derStandard.at: Welche Temperaturen sind ideal?

Jentzsch: Ideal sind kalte Nächte, mit Temperaturen zwischen minus zehn und 15 Grad Celsius und tagsüber Temperaturen um den Gefrierpunkt. Fönwetterlage ist ein absolutes "No Go" für das Eisklettern.

derStandard.at: Gibt es sonst noch Regeln, die einer Unfallvermeidung zweckdienlich sind?

Jentzsch: Ein Eiskletterer muss das Eis, sein persönliches Können und auch die Lawinengefahr einschätzen können. Wasserfälle rinnen in Gräben hinunter und sind immer auch ein perfektes Einzugsgebiet für Lawinen. Bei starkem Schneefall oder warmen Temperaturen steigt immer auch die Lawinengefahr.

derStandard.at: Ohne Einschulung klingt es jedenfalls nach einem risikoreichen Vergnügen.

Jentzsch: Eine Ausrüstung kaufen und irgendwo beim nächsten Eisfall hochzuklettern ist der vorprogrammierte schwere Unfall. Ich kann nur noch einmal betonen, es braucht viel Erfahrung um einen Eisfall einschätzen zu können. Ich bin selbst einmal einen 170 Meter hohen Wasserfall hinaufgeklettert und am nächsten Tag war er weg. Ich rede da über Tonnen von Eis, die in sich zusammenbrechen. Das sind Naturgewalten, denen man beim Felsklettern nicht ausgesetzt ist.

derStandard.at: Was versteht man unter Mixed Klettern und Dry Tooling?

Jentzsch: Das sind im Moment die modernen Formen des Wasserfallkletterns. Beim Mixed Klettern wird mit den üblichen Eisgeräten abwechselnd im Fels und Eis geklettert. Beim Dry Tooling, gibt es überhaupt kein Eis mehr. Hier wird mit einer Eiskletterausrüstung eine reine Felswand hinaufgeklettert - gut abgesichert von einer Reihe von Bohrhaken. (Regina Philipp, derStandard.at, 9.12.2008)