Was geschieht, wenn eine Gesellschaft von einem EU-Land in ein anderes übersiedeln will? Nach der Gesetzgebung der meisten Staaten entspricht dies einer Liquidierung des Unternehmens, es hört aus nationaler Sicht auf zu existieren. Daher werden die unrealisierten Reserven, die sich durch die Differenz zwischen Buch- und Verkehrswert von Vermögenswerten ergeben, so besteuert, als würden sie nun verkauft werden.

Eine solche Exit-Steuer wurde 2006 vom Europäischen Gerichtshof als Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 EG-Vertrag gewertet und daher für natürliche Personen untersagt. Unrealisierte Reserven dürfen nicht beim Übersiedeln in einen anderen EU-Staat besteuert werden, sondern erst beim Verkauf der Güter. Das gilt für Pkws, die mehr als der Buchwert wert sind, genauso wie für aufgebauten Goodwill.

Allerdings gibt es eine EuGH-Entscheidung von 1988 (Daily Mail), wonach sich Unternehmen nicht auf die Niederlassungsfreiheit berufen können, da sie nur unter einer nationalen Jurisdiktion existieren.

Am 16. Dezember muss der EuGH erneut in einer solchen Causa entscheiden: Die ungarische Gesellschaft Cartesio übersiedelte nach Italien und wehrte sich gegen ihre Auflösung nach ungarischem Recht. In seinem Schlussantrag erklärte der Generalanwalt, das Daily-Mail-Urteil sei nicht mehr relevant und die Auflösung für Unternehmen EU-rechtswidrig. Daher dürfte es auch für Unternehmen keine Exit-Steuer mehr geben.

Der niederländische Steuerrechtsexperte Sjoerd Douma von der Universität Leiden ist nicht sicher, dass der EuGH dem Generalanwalt folgt, weil die Argumentation von Daily Mail immer noch gültig sei. Sollte aber die Exit-Steuer fallen, würden wohl viele Unternehmen diese neue Chance zum Steuersparen nutzen und rasch auswandern, sagt Douma, der auf einem Seminar des Instituts für europäisches und internationales Steuerrecht der WU Wien und PricewaterhouseCoopers vortrug.

Die nachträgliche Besteuerung im EU-Ausland wäre zwar nach europäischem Recht möglich, aber nicht alle EU-Staaten hätten dies in ihren nationalen Gesetzen vorgesehen. "Die Frage ist nun, ob die Gerichte in den Ländern diese Möglichkeit schaffen können, oder ob dies nur der Gesetzgeber tun kann", sagt Douma. Selbst dort, wo die spätere Besteuerung theoretisch möglich ist, könnte sie in der Praxis auf Hindernisse stoßen, vor allem zwischen Staaten mit unzureichenden Doppelbesteuerungsabkommen oder in Fällen einer unzureichenden Zusammenarbeit der Steuerbehörden.

Österreich hat seine Steuergesetzgebung bereits in diese Richtung angepasst, sagt Michael Lang, Steuerrechtsprofessor an der WU Wien. Dennoch gebe es, wenn der EuGH Cartesio recht gibt, in Zukunft rechtlichen Handlungsbedarf. (Eric Frey, DER STANDARD, Printausgabe, 10.12.2008)